Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde
Eigentlich wäre jetzt ja die Zeit, wo wir im gemütlichen Inneren eines
Kinos dem nbeligen und bisweilen bizarr anmutenden Alltag entfliehen
könnten. Doch leider weit gefehlt: in mehreren Regionen der Schweiz
mussten die Kinos schliessen per Dekret oder, weil sich der Betrieb
aktuell nicht lohnen würde. Wir bleiben aber standhaft und bringen
zumindest für diejenigen, die noch die Möglichkeit dazu haben, einen
Film des Monats.
«W. - Was von der Lüge bleibt» nähert sich dem Menschen Binjamin
Wilkomirski aka Bruno Dössekker an, der sich in den 90ern eine neue
Herkunft erfand. Der Film von Rolando Colla zeigt eindringlich auf, wie
schmal der Grat zwischen Realität und Fiktion sein kann - insbesondere
dann, wenn es um Erinnerungen geht.
Auch wir erinnern uns, an die Zeiten vor Corona, bewahren die schöne
Gedanken und verlieren deshalb auch die Hoffnung auf Besserung nicht. In
diesem Sinne: Viel Kraft für die nächsten Monate!
Herzlich Eva Meienberg und Natalie Fritz
FILM DES MONATS NOVEMBER
November 2020
W. – WAS VON DER LÜGE BLEIBT
LÜGE UND WAHRHEIT WAREN FÜR BRUNO DÖSSEKKER WILKOMIRSKI KEINE
TRENNSCHARFEN GRÖSSEN. DAS BUCH, IN DEM ER SEINE KINDHEIT ERFUNDEN
HATTE, WURDE ZU EINEM BESTSELLER UND ZUR TRAGÖDIE SEINES LEBENS
Als in der Schweiz 1995 das Buch «Bruchstücke. Aus einer Kindheit
1939-1948» erschien, sorgte es über die Landesgrenzen hinaus für
Aufsehen. Der Autor, ein gewisser Binjamin Wilkomirski, erzählte von
seiner Zeit in zwei polnischen Konzentrationslagern, bevor er über
Krakau in die Schweiz kam. Das Buch wurde in zwölf Sprachen übersetzt,
Wilkomirski bekam zahlreiche Preise und war ein gefragter Zeitzeuge.
Vier Jahre später stellte sich heraus: Seine Erlebnisse sind Fiktion.
Wilkomirski, der gebürtig Bruno Grosjean hiess, wuchs als uneheliches
Kind in einem Waisenhaus in Adelboden auf. Später adoptierte ihn das
wohlhabendes Paar Dössekker aus Zürich.
Nach 20 Jahren versucht der Filmemacher Rolando Colla mithilfe von
Archivmaterial und Zeitzeugen den Beweggründen Dössekkers auf die Spur
zu kommen. Dössekker selbst kommt auch zu Wort. Das ist bemerkenswert,
weil er sich völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Collas
Dokumentation ist, mitsamt den stimmigen Illustrationen des
Comiczeichners Thomas Ott, genauso spannend wie erschütternd. Sie nimmt
uns mit auf die schmerzliche Reise in das Trauma eines schwierigen und
einsamen Menschen, der zeitlebens nach Antworten suchte. Dössekker
verschob seine Erinnerungen, von deren Wahrhaftigkeit er vermutlich
selbst überzeugt war. Wo fängt die Lüge an und wo hört sie auf?
Letztlich ist unser menschlicher Geist so komplex, dass manchmal mehrere
Wahrheiten parallel zueinander existieren können.
Sarah Stutte, Filmjournalistin
«W. - Was von der Lüge bleibt», Schweiz 2020, Regie: Rolando Colla,
Verleih: Filmcoopi, www.filmcoopi.ch
Kinostart: 12. November 2020
https://youtu.be/Bks3sa8fAP4https://www.medientipp.ch/events/w-was-von-der-luege-bleibt/