Liebe Filmfreundinnen und *Filmfreunde

Zwar kommt das Wort «häuslicher Missbrauch» in der Bibel nicht direkt vor, doch in der Heiligen Schrift gibt es einige Beispiele von Gewaltopfern. So wurde Joseph, Sohn Jakobs, von seinen Brüdern körperlich und emotional misshandelt. Sie warfen ihn zunächst in eine Grube, um ihn verhungern zu lassen und verkauften ihn schliesslich als Sklave (1. Mo 37,18-28). Im Hause Davids (2. Sam 13, 1-14, 33) wurde dessen Tochter Tamar von ihrem Halbbruder Amnon vergewaltigt und anschliessend aus dem Haus gejagt. Die Erzählung gehört zu einem der verstörendsten Texte der Bibel.

Nach Schätzungen und Studien wird jede vierte Frau in ihrem Leben einmal Opfer häuslicher Gewalt. Die Dunkelzahlen liegen weitaus höher. Bei der überwältigenden Mehrheit der Opfer handelt es sich um Frauen, doch auch Kinder und Männer sind von häuslicher Misshandlung betroffen.

In «Shayda» flüchtet eine iranische Mutter mit ihrem Kind vor den gewalttägigen Ausbrüchen ihres Ehemannes in ein Frauenhaus. Der Film zeigt die Angst, die sicher alle Frauen in einer solchen Situation erleben. Davor, entdeckt und gefunden zu werden. Wieder zurück in den Kreislauf der Abhängigkeit zu geraten. Doch der Debütspielfilm der iranischen Regisseurin Noora Niasari vermittelt ebenfalls, wie sich das für eine Frau anfühlen muss, die im Land, in dem sie Schutz sucht, fremd ist. Hier kommt die Furcht hinzu, das eigene Kind für immer zu verlieren. An den Mann, an das Heimatland.  Die Geschichte ist persönlich, weil sie auf den eigenen Erfahrungen der Filmemacherin beruht und doch universell, weil die Filmfigur stellvertretend für viele Opfer von häuslicher Gewalt überall auf der Welt steht.

«Shayda» wurde am Sundance Film Festival 2023 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und war im selben Jahr der Abschlussfilm der Piazza Grande am Filmfestival Locarno.  

Herzliche Grüsse

Sarah Stutte und Natalie Fritz

 

 

Film des Monats Januar                                                       Januar 2024

Shayda

Die iranische Regisseurin Noora Niasari verarbeitet ihre eigenen Kindheitserfahrungen in einem Frauenhaus in ihrem Spielfilmdebüt. Damit zeigt sie auf, dass häusliche Gewalt ein universelles Thema ist, das oft immer noch verharmlost wird.

Die iranische Mutter Shayda flieht mit ihrer kleinen Tochter Mona vor ihrem gewalttätigen Ehemann in ein australisches Frauenhaus. Ins Land gekommen war die Familie, damit Hossein hier sein Medizinstudium abschliessen kann. Danach will er aber wieder in seine Heimat zurück. Doch Shayda reicht die Scheidung ein, um sich und ihr Kind zu schützen. Sie hat Angst davor, dass Hossein Mona in den Iran entführt und sie ihre Tochter nie wiedersieht.

«Shayda» ist das Spielfilmdebüt der iranischen Regisseurin Noora Niasari, die in Australien aufgewachsen ist. Mit der Geschichte verarbeitet sie ihre eigenen Kindheitserfahrungen in einem Frauenhaus in Brisbane, in dem sie zusammen mit ihrer Mutter vorübergehend wohnte. Das verleiht dem Film eine Authentizität, die auch getragen wird durch die glaubwürdige Darstellung von Zar Amir Ebrahimi («Holy Spider») in der Hauptrolle. Sie strahlt als Shayda einerseits eine Stärke und stille Würde aus, auf der anderen Seite eine Zerbrechlichkeit, ohne dabei jemals ins Sentimentale abzugleiten.

«Shayda» ist persönlich und universell zugleich. Die Gewalterfahrungen einer Frau stehen für das Schicksal vieler Frauen – und das nicht nur im Iran. In einer Szene des Films ermuntert die Mutter von Shayda diese, es doch noch einmal mit ihrem Mann zu versuchen, weil er «ein guter Vater und bald Arzt ist». Das zeigt schmerzlich auf, wie häufig auch heute noch häuslicher Missbrauch verharmlost oder gar ignoriert wird.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«Shayda», AU/US 2023, Regie: Noora Niasari, ProtagonistInnen: Zar Amir Ebrahimi, Selina Zahednia, Leah Purcell, Verleih: Filmcoopi, http://www.filmcoopi.ch, Filmwebsite: https://www.filmcoopi.ch/movie/shayda

Ab 11. Januar 2024 im Kino