Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde

Der goldene Spätsommer erscheint dieses Jahr etwas weniger glänzend: In Afghanistan herrscht Chaos und Zerstörung und dies fast exakt 20 Jahre nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen. Der 11. September 2001 war für viele von uns ein einschneidender Moment. Plötzlich wurde auch in der Schweiz über die politische Seite von Religion diskutiert, über Radikalisierung und wie es dazu kommen kann. Eigentlich eine wichtige Debatte – wenn sie denn sachlich und nicht polemisch geführt wird.

Unser Film des Monats, «Notturno», vermittelt uns intime Einblicke in den Alltag von Menschen, die in kriegsversehrten Gebieten (über)leben müssen. Gianfranco Rosi tut dies – wie bereits im Siegerfilm der Berlinale von 2016, «Fuocoammare» – mit einer gewissen Distanz und ohne zu werten. Die gezeigten Bilder sind wunderschöne Tableaus, die die katastrophalen Umstände vor Ort maximal kontrastieren. Ein eindringlicher Dokumentarfilm, der nicht einfach den Schmerz der Menschen zeigt, sondern vor allem ihre Würde und Resilienzfähigkeit hervorhebt.

In diesem Sinne hoffen wir auf Besserung!

Herzlich

Eva Meienberg und Natalie Fritz



Film des Monats September

September 2021

Notturno

Gianfranco Rosis Dokumentarfilm zeigt intime Einsichten in den Alltag von Menschen, die in Kriegsgebieten leben. Die einzelnen Schicksale verweben sich nach und nach zu einem Mosaik über Schmerz, Würde und Resilienz. Ein eindrückliches Werk!

«Ich spüre deine Gegenwart, wenn ich diese Wand berühre», klagt eine ältere Frau in schwarz und streicht über rauen Beton. Sie betrauert den gewaltsamen Tod ihres und vieler anderer Söhne im Krieg.

Auf einem Dach turtelt ein verliebtes Pärchen, während im Hintergrund Maschinengewehrsalven zu hören sind.

Ein Junge versucht in der Dämmerung Vögel oder sonstiges Getier zu erlegen, um damit die vaterlose Familie zu ernähren.

Wir befinden uns im Krieg. Nicht unmittelbar an der Front, aber in vom Krieg zerstörten Grenzgebieten in Syrien, Kurdistan, Irak und Libanon. Zwar sind Verwüstung, Trauer und Mangel als Nachwirkungen der Katastrophe überall sicht- und spürbar, nichtsdestotrotz besteht eine gewisse Normalität. Den Menschen hier ist Schreckliches widerfahren, dennoch leben und lieben sie – und sie leisten Widerstand. Auf unterschiedliche Weise. Die Peschmerga-Soldatinnen verteidigen ihre Werte mit Waffen gegen den IS. In einer Psychiatrie werden die Traumata in einem Theaterstück aufgearbeitet und in der Kunsttherapie für jesidische Kinder wird Resilienz mit Papier und Stiften gefördert.

Gianfranco Rosis Dokumentarfilm ist ein Mosaik intimer Alltagsszenen aus kriegsversehrten Gebieten im Nahen Osten. Die wunderschön komponierten Bilder stehen in einem markanten Gegensatz zur humanitären Katastrophe, die gezeigt wird. Diese Dissonanz unterstreicht die Einsicht, dass Menschen fähig sind, auch unter schwierigsten Umständen ihre Würde zu bewahren und die Hoffnung nicht aufzugeben.

Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp

«Notturno», Italien/Frankreich/Deutschland 2020; Regie: Gianfranco Rosi; Verleih: Xenix Filmdistribution GmbH, www.xenixfilm.ch, Filmwebseite: http://www.xenixfilm.ch/de/film_info.php?ID=12007

Ab 23. September 2021 im Kino

https://vimeo.com/492448868

https://www.medientipp.ch/events/notturno/