Liebe Filmfreundinnen und *Filmfreunde

Was empfinden wir als gerecht? Warum? Kann ein Mensch alles vergeben? Sollen Menschen, die sich etwas haben zu Schulden kommen lassen, büssen? Wenn ja, wie und wie lange? Mit diesen und anderen Fragen nach Schuld, Sühne und Recht konfrontiert uns Jeanne Herrys Spielfilm "Je verrai toujours vos visages". Im Film wird anhand von zwei Erzählsträngen dargelegt, wie die Restaurative Justiz funktioniert, welches ihre Chancen aber auch ihre Herausforderungen sind. In der Schweiz wird diese ergänzende Form zum gängigen Strafrecht, die in erster Linie die Opfer von Gewaltakten und ihre Bedürfnisse ins Zentrum stellt, erst in verschiedenen Einzelprojekten getestet. Die Rückmeldungen scheinen aber durchaus positive Rückschlüsse zuzulassen. Offensichtlich kann für Opfer von Gewalthandlungen die Möglichkeit, mit Täter*innen über die Gewalterfahrung zu sprechen und drängende Fragen zu stellen, hilfreich sein, um Traumata zu überwinden. Ausserdem ist der Aspekt der Verantwortungsübernahme durch die Täter*innen ebenfalls wichtig – sowohl für die Opfer von Gewalt als auch für Täter*innen. Die Teilnahme an Massnahmen der Restaurativen Justiz ist immer freiwillig und kann auch nicht in jedem Fall angewendet werden. Als ergänzender Zugang, um mit Gewalt und ihren Konsequenzen für die Direktbetroffenen sowie die Gesellschaft umzugehen, könnte die Restaurative Justiz eine vielversprechende Vorlage bieten.

Mit herzlichen Grüssen

Sarah Stutte, Eva Meienberg und Natalie Fritz

Film des Monats Oktober

Oktober 2023

Je verrai toujours vos visages

 

Jeanne Herrys Film beleuchtet die Chancen und Herausforderungen der Restaurativen Justiz. Dieser Ansatz möchte es Gewaltopfern sowie Tätern und Täterinnen ermöglichen, in einem sicheren Umfeld miteinander zu sprechen und dadurch Verständnis, Verantwortungsgefühl und vielleicht sogar Heilung zu fördern.

Seit 2014 existiert in Frankreich die Restaurative Justiz, die es Opfern und Täter*innen ermöglicht, in einem sicheren Rahmen miteinander zu sprechen. Dabei geht es darum, die jeweils andere Seite anzuhören und deren Geschichten und Befindlichkeiten zu verstehen. So kann es gelingen, Ängste zu überwinden, resilient zu werden und die eigenen Handlungen und Motive zu überdenken.

In zwei parallelen Erzählsträngen zeigt der Film die Möglichkeiten und Herausforderungen der Restaurativen Justiz auf. Wir nehmen einerseits Teil an Gruppensitzungen, wo drei Straftäter auf drei Menschen treffen, die in unterschiedlichen Kontexten überfallen und ausgeraubt worden sind. Nach und nach öffnen sich die Beteiligten und es werden tiefgehende Auseinandersetzungen mit dem Vorgefallenen und den Folgen möglich.

Andererseits fokussiert der zweite Erzählstrang auf Chloé, die über die Anwältin Judith einen Austausch mit ihrem Vergewaltiger anstrebt. Seit sie weiss, dass er wieder in ihrer Nähe wohnt, möchte sie Regeln fixieren, die verhindern, dass sie ihm zufällig über den Weg läuft. Das Problem: der Vergewaltiger ist ihr Bruder…

Jeanne Herrys Blick auf die Restaurative Justiz ist ein sehr differenzierter. Sie lässt den Protagonistinnen und Protagonisten viel Zeit, um ihre hochemotionalen Geschichten zu erzählen und sich dadurch auch aus einer ungewollten Opferrolle zu emanzipieren. Ein humanistisches Werk, das an die Versöhnung glaubt, ohne dabei illusorisch zu sein.

Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp

«Je verrai toujours vos visages» Frankreich 2023; Regie: Jeanne Herry; ProtagonistInnen: Lëila Bekhti, Gilles Lellouche, Miou-Miou; Verleih: Frenetic Films; Filmseite: https://www.frenetic.ch/katalog/detail//++/id/1250

Ab 5. Oktober 2023 im Kino

https://youtu.be/f1AYZEwrcmo