Liebe Filmfreundinnen und *Filmfreunde

War es ein Unfall? War es ein Suizid? War es ein Mord? Als Sandras Ehemann Samuel tot im Schnee gefunden wird, nimmt die Kriminalpolizei Ermittlungen auf und für die Ehefrau beginnt ein Spiessrutenlauf. Weil die Todesumstände unklar bleiben, gerät Sandra unter Mordverdacht. Während des folgenden Gerichtsprozesses wird die Ehe von Sandra und Samuel akribisch durchleuchtet, geradezu seziert. Aussagen widersprechen sich, Erinnerungen sind ungenau – alle und alles bleiben ambivalent, die Wahrheit über den Hergang des Todes auch. «Anatomie d'une chute» von Justine Triet zeigt absolut überzeugend auf, wie auf der Suche nach einer Täterschaft auch kleine Fehler oder Zwistigkeiten plötzlich an Bedeutung gewinnen. Die zerrüttete Ehe von Sandra und Samuel, ihre unterschiedilchen Lebensentwürfe werden als belastbares Motiv für einen Mord vorgebracht; doch ist das die Wahrheit? Immer wieder lässt Triet ihr Publikum ins Leere laufen, spielt mit der Subjektivität der Wahrnehmungt und der Komplexität des Wahrheitsbegriffs.

«Anatomie d'une chute» ist nicht nur eine fesselnde Kriminalgecshichte, sondern eine meisterhaft umgesetzte Chronik einer kaputten Paar-Beziehung, in der Sandra Hüller als ambivalente Protagonistin brilliert.

In diesem Sinne wünschen wir gutes Abwägen der Argumente!


Sarah Stutte und Natalie Fritz


Film des Monats November

November 2023

Anatomie d'une chute

 

Der erfolglose Schriftsteller Samuel liegt tot im Schnee. Ein Unfall oder hat seine erfolgreiche Ehefrau nachgeholfen? Justine Triet sucht in ihrer fesselnden Kriminalgeschichte nicht in erster Linie nach der Täterschaft, sondern seziert eine Beziehung, in der die Frau nicht den traditionellen Erwartungen entsprach.

Die Musik dröhnt laut vom Dachboden und schallt durch das ganze Haus. Unten versucht die erfolgreiche Autorin Sandra einer Studentin zu erklären, wie die Realität ihre Romane beeinflusst. Doch der Krach verschluckt jedes Wort – das Interview muss abgebrochen werden.

Warum Sandras Mann Samuel, den wir nicht sehen, die Szenerie stört, bleibt unklar. Vielleicht aus Bitterkeit darüber, dass er selbst – ebenfalls Schriftsteller – nie ein Buch veröffentlichen konnte. Eine Stunde später findet ihn sein blinder Sohn Daniel draussen tot im Schnee. Offenbar stürzte er aus dem obersten Stock des Bergchalets in den französischen Alpen – oder war es doch kein Unfall?

Der Film von Justine Triet ist vordergründig eine Kriminalgeschichte, die nach einem Opfer und einem Täter sucht. Doch diese Grenzen verschwimmen nach und nach, denn die Wahrnehmung ist stets individuell. Der Titel des Films spielt auf den buchstäblichen Sturz von Samuel an, der durch die Forensik untersucht wird. Aber auch auf den bildlichen Sturz von Sandra, deren Leben nach dem Verlust aus den Fugen gerät.

Der folgende Prozess ist für sie ein Akt der Demütigung. Ihr Charakter, ihre Arbeit und ihre Ehe werden in Frage gestellt, um daraus mögliche Mordmotive herzuleiten. Sandra Hüller ist bemerkenswert in ihrer Rolle als ambivalente Frau, die zwischen Arroganz und Verletzlichkeit schwankt. Letztendlich ist sie genauso wenig fassbar wie der Tod, das Leben und die Wahrheit, die irgendwo dazwischen liegt.

Sarah Stutte

«Anatomie d’une chute», Frankreich 2023, Regie: Justine Triet, Besetzung: Sandra Hüller, Swann Arlaud, Milo Machado Graner, Verleih: Filmcoopi, https://www.filmcoopi.ch/movie/anatomie-d-une-chute http://www.filmcoopi.ch, Filmwebseite: https://www.frenetic.ch/katalog/detail//++/id/1254

Kinostart: 9. November 2023