Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde

Kaum hat man sich an die «neue Normalität» in einer etwas hoffnungsvolleren Pandemielage gewöhnt, als auch schon die nächste Schreckensbotschaft eintrifft.  Der Einfall Russlands in die Ukraine hat viele von uns völlig unerwartet getroffen. Die Solidarität mit den Ukrainer*innen ist enorm, die Angst vor einem Dritten Weltkrieg ebenfalls. Die Gefahr einer militärischen Eskalation führt in Anbetracht des Leides vor Ort zu einem moralischen Dilemma auf staatspolitischer aber auch auf individueller Ebene. Eingreifen oder nicht? Wie kann man selbst unterstützen? Was bedeuten Demokratie und freie Meinungsäusserung und wie lassen sie sich schützen?  – dies nur einige der Fragen, die sich aktuell stellen.

Um den Schutz von Gefährdeten dreht sich auch unser Film des Monats. «La mif» handelt von einer Ersatzfamilie (das französische «mif» steht umgangssprachlich für famille), einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche in der Westschweiz, wo Mädchen aus schwierigen Verhältnissen ein neues Zuhause finden. Die Protagonistinnen sind Laiendarstellerinnen und schöpfen aus ihrem Erfahrungsschatz. Das macht Fred Baillifs Film zu einer mitreissend-emotionalen Auseinandersetzung mit dem Jugendschutz in der Schweiz, mit Akzeptanz und Solidarität trotz allem. Der Film hat am ZFF 2021 den Filmpreis der Zürcher Kirchen gewonnen.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Kraft für die kommenden Tage und Wochen, bleiben wir solidarisch – dort, wo wir können!

Herzlich

Eva Meienberg und Natalie Fritz



Film des Monats März

März 2022

La mif

In einem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche in der Westschweiz finden Mädchen aus schwierigen Verhältnissen eine neue Familie und fühlen sich endlich geborgen. Der Genfer Filmemacher Fred Baillif hat mit «La mif» ein beeindruckendes Ensemblestück geschaffen, in dem die Laiendarstellerinnen mit ihren eigenen Erfahrungen und Geschichten gravierende institutionelle und sozialpolitische Probleme offenbaren

Lora ist Leiterin eines Heims für verhaltensauffällige Jugendliche in der Westschweiz. Nachdem dort zwei minderjährige Teenager beim Sex erwischt wurden, kassiert sie eine Rüge und darf in der Folge nur noch Mädchen beherbergen. Alle kommen aus schwierigen Verhältnissen, einige sind misshandelt, missbraucht oder von Erwachsenen im Stich gelassen worden. In diesem Heim aber finden sie Liebe, Solidarität und eine Ersatzfamilie – la mif (fr. Umgangssprache für la famille).

Trotzdem sind Konflikte unter den Mädchen, als auch mit ihren Betreuenden an der Tagesordnung. Unter allem brodelt Loras unverarbeitetes Trauma, der Verlust ihrer eigenen Tochter. Das zieht ihr langsam den Boden unter den Füssen weg und lässt die Dinge ausser Kontrolle geraten.

Dem Genfer Filmemacher und ehemaligen Sozialarbeiter Fred Baillif ist mit «La mif» ein explosiv-energetisches Drama gelungen. Es gewährt einen realistischen Einblick in ein Heim, in dem das Aufsichtspersonal noch dysfunktionaler scheint als die Insassinnen selbst. Diese werden von jungen Laiendarstellerinnen verkörpert, die grösstenteils tatsächlich in solchen Einrichtungen leben. Durch ihre eigenen Erfahrungen sowie Improvisationen formen sie die Geschichten, die Baillif in starken Einzelporträts nachzeichnet – mit einer Kamera, die immer nahe an den Figuren bleibt. «La mif» ist ein beeindruckendes Ensemblestück, das institutionelle Probleme offenbart und mit viel Vehemenz und Aufrichtigkeit gespielt ist.

Sarah Stutte, Filmjournalistin

«La mif» hat den Filmpreis der Kirchen am ZFF 2021 gewonnen.

«La mif», Schweiz 2021, Regie: Fred Baillif, Besetzung: Claudia Grob, Anaïs Uldry, Kassia Da Costa, Verleih: Aardvark Film Emporium, www.aardvarkfilm.com

Kinostart: 17. März 2022

https://www.youtube.com/watch?v=CZaOMCCQQCg

https://www.medientipp.ch/events/la-mif/