Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde
 
Wir wünschen Ihnen allen ein gutes neues Jahr mit viel Energie (psychisch und buchstäblich), guter Gesundheit, Licht und Hoffnung.
Viel Licht und Hoffnung braucht die Welt wohl auch 2023 ... Die aktuellen Vorfälle in Brasilien geben zu denken, in der Ukraine gehen die Kämpfe weiter und in Afghanistan und Iran spitzt sich die Lage zunehmend zu. Manchmal wünschte man sich einen «Rewind»-Schalter, der uns erlaubte, zurückzuspulen, um den Lauf der Dinge in der Vergangenheit zu beeinflussen. Doch würden sich solche Eingriffe wirklich positiv auf die Gegenwart auswirken? Zumindest literarische und filmische Gedankenspiele zum Thema legen nahe, dass «gut gemeint» nicht zwingend auch einen «guten Ausgang» bedeutet.
 
Unser Film des Monats rückt die Lage der Frauen im Iran ins Zentrum. Ein zu wichtiges Problem, als dass wir es ob der schieren Newsflut einfach vergessen dürften. «Holy Spider» basiert auf realen Mordfällen, die Anfang der 2000er Jahre von einem selbsternannten Schützer der Tugend verübt wurden.
Ali Abbasis Film ist eine schonungslose Abrechnung mit einem theokratischen, patriarchalischen Staatssystem, das seine Intoleranz – etwa gegenüber Frauen – durch den Verweis auf die «einzig richtige» Auslegung des Korans legitimiert.
Keine leichte Filmkost – aber eine wichtige Geschichte!
 
Mit den besten Grüssen für 2023
Sarah Stutte und Natalie Fritz
 
 

Film des Monats

Januar 2023

Holy Spider

Im Namen der Religion ermordet ein Bauarbeiter Anfang 2000 in der heiligen iranischen Stadt Maschhad 16 Prostituierte. Eine Journalistin heftet sich an seine Fersen. «Holy Spider» zeigt in erschreckender Weise auf, wie das Land unter dem Gewicht eines theokratisch-autoritären Staates verroht.

Eine junge Frau bindet sich ihr Kopftuch um, gibt ihrer Tochter einen Gute-Nacht-Kuss und sagt ihr, dass sie bald wieder zurück ist. Dann entschwindet sie in die Nacht. Sie gilt als unreine, gottlose Frau. Eine, die ihren Körper auf der Strasse verkauft. Wir folgen ihr durch die Stadt und die Gassen zu den Freiern, die sie wie Abschaum behandeln. Von einem von ihnen wird sie kurz darauf in einem Treppenhaus ermordet. Ihr Kind wird am nächsten Tag allein aufwachen.

«Holy Spider» erzählt von der wahren Mordserie Saeed Hanaeis, auch bekannt als «Spider Killer». Angetrieben von dem Bestreben, seine Umgebung von Unmoral zu säubern, brachte der Bauarbeiter zwischen 2000 und 2001 in der heiligen iranischen Stadt Maschhad 16 Prostituierte um.

Der iranische Filmemacher Ali Abbasi («Gräns», 2018), der seit Jahren in Dänemark lebt, stellt die realen Geschehnisse in einen grösseren Kontext. Dieser zeigt in erschreckender Weise auf, wie die iranische Gesellschaft unter dem Gewicht eines theokratisch-autoritären Staates verroht und die Misogynie ungehindert gedeihen kann.

Das bekommt auch die fiktive Journalistin Rashimi zu spüren, als sie versucht, den Spinnenmörder aufzuspüren. Die örtlichen Behörden weichen ihren Fragen aus, während sie ihr mit Herablassung und Verachtung begegnen. In den letzten Minuten des Films untermauert Abbasi seine These. Die Welt wird nicht zu einem besseren Ort, solange Frauenfeindlichkeit ein unendlich-vererbter Albtraum ist, der weit über die Taten eines einzelnen Mannes hinausgeht.

Sarah Stutte, Filmjournalistin und Redaktorin Medientipp

«Holy Spider», DK/DE/SE/FR 2022, Regie: Ali Abbasi, Besetzung: Zar Amir Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, Verleih: Xenix Film, www.xenixfilm.ch

Kinostart: 12. Januar 2023

https://www.medientipp.ch/events/holy-spider/