Neue Textfunde sollen Luther-Bibel modernisieren
WELT
Nach 26 Jahren haben sich Theologen, Historiker und Sprachwissenschaftler
wieder zusammengesetzt, um die Luther-Bibel einer vorsichtigen
«Frischzellenkur» zu unterziehen.
RNA/sda
«Es geht uns nicht um eine komplette Revision wie 1984», erklärt Martin
Rösel. Der Alttestamentler an der theologischen Fakultät der Universität
Rostock, der eine von bundesweit drei Arbeitsgruppen zu dem Thema
koordiniert, stellt sich dennoch auf ein Mammutprojekt ein: «Wir prüfen, ob
Luthers Bibel noch die gleiche Texttreue hat wie bei der letzten
Durchsicht.» Viele neu aufgetauchte Fragmente hätten zu neuen Einsichten
bei der Auslegung zentraler Passagen geführt.
Im Kern geht es diesmal um das Neue Testament, dessen «Neuausgabe» 1975
heftige Meinungsverschiedenheiten ausgelöst hatte. Die vorige Revision des
Alten Testaments im deutschen Sprachraum geht sogar auf das Jahr 1964
zurück, diejenige seiner Apokryphen (Spätschriften) auf 1970.
Letztere sind auch das Spezialgebiet von Rösels Team. Der Chef selbst hat
sich seit seiner Doktorarbeit mit den oft umstrittenen Bibel-Übersetzungen
beschäftigt, vor allem mit Übertragungen vom Hebräischen ins Griechische
wie in der klassischen «Septuaginta».
Neben Rösels Rostocker Gruppe schauen seit Anfang Juni auch zwei Teams um
die Professoren Jens Schröter von der Humboldt-Universität Berlin und
Christoph Levin von der Ludwig-Maximilians-Universität München die neuen
Fundstellen durch. Bayerns Landesbischof Johannes Friedrich, eine Theologin
und ein Germanist sind ebenfalls mit im Boot. Ihr Ziel: Lücken in den
Bibel-Geschichten zu schliessen und hier und da neue Lesarten einzufügen.
Die Puzzle-Arbeit soll möglichst 2015 abgeschlossen sein, zwei Jahre vor
dem 500. Reformationsjubiläum. «Innerhalb jeder Gruppe wird debattiert: Was
ist wirklich neu?», erklärt Rösel. Interessant seien insbesondere
hebräische Fragmente, die in einer Synagoge in Kairo gefunden wurden und
einen anderen Blick auf das Buch Jesus Sirach erlauben. Ähnlich sei die
Lage bei Schriften aus Masada und Qumran (Israel).
«Seit Ende der 80er Jahre gab es Kontroversen um den Einschluss dieser
Funde», sagt Rösel. Zu entscheiden sei in jedem Fall die knifflige Frage,
ob derlei Texte tatsächlich «älter sind und neue erzählerische
Zusammenhänge erschliessen», oder ob sie lediglich spätere Ergänzungen zu
den bisherigen Überlieferungen darstellen. «Auch bei der Geschichte um Kain
und Abel vermuten wir: Da fehlt noch was», meint Rösel.
Kollege Schröter, der mit der Berliner Gruppe das Neue Testament
durchsieht, rechnet auch mit Änderungsbedarf bei Matthäus-, Markus- und
Lukasevangelium und den Paulus-Briefen: «Verglichen mit Luthers Zeiten sind
heute ungleich mehr Manuskripte bekannt.» Nicht zuletzt könnten «seine»
Apokryphen zu einer Baustelle werden, glaubt Rösel. «Da werden die Leute
das am ehesten merken. Wir haben nämlich hebräische und aramäische
Originaltexte, die es früher nicht gab.»
Im Oktober soll es ein Treffen der drei Arbeitsgruppen geben,
überarbeitete Kapitel sollen dort schon vorgelegt werden. Die grosse
Verantwortung ist den Forschern dabei stets bewusst – denn die letztlich
genehmigte Fassung ist laut Rösel verbindlich: «Das gilt dann für den
gesamten Bereich des deutschsprachigen Luthertums.»
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