Katholische Kirche: Küng fordert Reformen auch gegen Widerstand des
Papstes
WELT
Der Schweizer Theologe Hans Küng hat die katholischen Bischöfe weltweit zu
Reformen auch gegen den Widerstand von Papst und Vatikan aufgerufen. Die
katholische Kirche stecke in der tiefsten Vertrauenskrise seit der
Reformation im 16. Jahrhundert, schreibt der 82-jährige Theologe in einem
offenen Brief, den die «Neue Zürcher Zeitung» und die «Süddeutsche Zeitung»
in ihren Donnerstag-Ausgaben (15. April) veröffentlicht haben.
RNA/kipa
Papst Benedikt XVI. habe sich in den fünf Jahren seiner Amtszeit immer
weiter von der grossen Mehrheit des Kirchenvolks entfernt und eine Politik
der Restauration eingeleitet, schreibt Küng. Diese Politik sei gescheitert.
Der Theologe fordert die Einberufung eines neuen Konzils, das Reformen auch
gegen den Widerstand von Papst und Kurie einleiten müsse.
Die Bischöfe dürften nicht wie «Statisten ohne Recht und Stimme wirken»,
fordert der Theologe. Auch wenn jeder Bischof einen Gehorsamseid gegenüber
dem Papst abgelegt habe, wisse er doch, «dass uneingeschränkter Gehorsam
nie einer menschlichen Autorität, sondern Gott allein geschuldet ist».
Küng appelliert an die Bischöfe, gemeinsam mit Priestern und Laien vor Ort
für die Erneuerung der Kirche einzutreten. Man dürfe nicht immer nur auf
Rom warten. Reformen können auch regional und bewusst gegen den Willen des
Papstes angestossen werden. Als Beispiel nannte Küng den Zölibat: «Ein
Priester, der nach reiflicher Überlegung zu heiraten gedenkt, müsste nicht
automatisch von seinem Amt zurücktreten, wenn Bischof und Gemeinde hinter
ihm stehen.»
In dem Brief zieht Küng eine negative Bilanz des Pontifikats von Papst
Benedikt XVI., der an diesem Montag fünf Jahre im Amt ist. «Was die grossen
Herausforderungen der Zeit betrifft, so stellt sich sein Pontifikat
zunehmend als eines der verpassten Gelegenheiten und der nicht genützten
Chancen dar», schreibt der Theologe. Vertan worden seien sowohl die
Annäherung an die evangelischen Kirchen als auch eine Verständigung mit
Judentum und Muslimen.
Auch auf Fragen der Überbevölkerung, von Aids und Empfängnisverhütung habe
die Kirche keine neuen Antworten gefunden. Innerkirchliche Reformen seien
vertan worden. Der Papst wende sich mit seiner Politik gegen die Reformen
des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) und präsentiere sich als
einen «absolutistischen Stellvertreter Christi».
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