AG: Pfarrer vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs freigesprochen
SCHWEIZ
Ein reformierter Aargauer Pfarrer ist vom Vorwurf des mehrfachen sexuellen
Missbrauchs seiner Tochter freigesprochen worden. Vor Bezirksgericht
Zofingen AG hatte die Anklage am 17. Juni eine Freiheitsstrafe von
fünfeinhalb Jahren gefordert.
RNA/sda
«Im Zweifel für den Angeklagten» – mit diesem Grundsatz begründete der
Gerichtspräsident das Urteil. Das fünf Mitglieder zählende Gericht fällte
das Urteil nicht einstimmig. Es gebe jedoch «zu wenig Indizien» und keine
medizinischen Befunde, die auf einen jahrelangen sexuellen Missbrauch
hindeuteten, sagte der Präsident.
Damit folgte das Bezirksgericht dem Verteidiger, der für den 48-jährigen
Deutschen einen Freispruch verlangt hatte. Die Staatsanwältin, die sich auf
die Aussagen der Tochter gestützt hatte, hatte eine Freiheitsstrafe von
fünfeinhalb Jahren gefordert.
Die Anklage warf dem vom Dienst suspendierten Pfarrer vor, seine
mittlerweile 22-jährige Tochter während mehr als zwölf Jahren sexuell
missbraucht zu haben. Sie sprach von einem «gravierenden Fall». Die
Aussagen der Tochter seien «glaubhaft». Die Staatanwältin lässt offen, ob
sie das Urteil weiterziehen wird.
In der Anklageschrift waren alle Details der angeblichen Missbrauchsserie
präzis aufgeführt. Die Tochter hatte im März 2008 nach einer
Gruppentherapie Strafanzeige gegen ihren Vater eingereicht. Die Tochter war
am Prozess während fast einer Stunde befragt worden. Sie hat heute
psychische sowie körperliche Probleme, befindet sich in Behandlung und
bezieht eine IV-Rente.
Der Angeklagte wies vor Gericht alle Vorwürfe zurück. «Ich habe keine
Erinnerungen, weil es die Vorfälle nicht gab», sagte er. Bei der Festnahme
im April 2008 habe er an ein «Missverständnis» gedacht. Der Vater hielt der
Tochter psychische Störungen und depressive Stimmungen vor. Sie suche nur
Aufmerksamkeit und habe die Vorwürfe aufgrund des «Erwartungsdrucks von
Therapeuten» erhoben. Den Antrag des Angeklagten, die Öffentlichkeit vom
Prozess auszuschliessen, hatte das Gericht abgelehnt.
Der freigesprochene Pfarrer aus dem Bezirk Brugg wird vorerst von seinen
Amtspflichten enthoben bleiben. Die Reformierte Landeskirche Aargau wartet
ab, bis der Freispruch rechtskräftig ist. Die Kirchgemeinde, wo der Pfarrer
seit drei Jahren angestellt ist, hatte die Landeskirche nicht über den Fall
informiert. Die Kirchenpflege hatte dem Mann wegen seiner guten Amtsführung
das Vertrauen ausgesprochen. Das trug der Behörde Kritik ein.
Der Kirchenrat der Landeskirche habe das «in diesen Situationen übliche»
Disziplinarverfahren gegen den Pfarrer sofort eingeleitet, wie die
Landeskirche dazu in einer Medienmitteilung vom 17. Juni schreibt. Das
Verfahren werde erst dann weitergeführt, wenn die die schriftliche
Urteilsbegründung vorliege und wenn klar sei, ob die Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil rekurriere oder nicht. Der Kirchenrat überprüfe dann, ob
das Disziplinarverfahren eingestellt werden könne.
In Fällen, in denen schwerwiegende und begründete Vorwürfe im Bereich
sexueller Übergriffe gegen eine Pfarrerin oder einen Pfarrer erhoben
werden, eröffne der Kirchenrat grundsätzlich ein Disziplinarverfahren gegen
den betroffenen Pfarrer oder die Pfarrerin und suspendiere ihn oder sie
vorsorglich vom Dienst, bis die Vorwürfe abgeklärt seien, heisst es weiter.
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