Saudischer Klerus stellt sich dem Terror
WELT
Seit zwölf Jahren schon überzieht das Terrornetzwerk Al-Kaida den Globus
im Namen des Islam mit Autobomben, Hassbotschaften und
Selbstmordanschlägen. Die massgeblichen Religionsgelehrten in
Saudi-Arabien, dem Land der heiligen Stätten des Islam, haben dazu lange
geschwiegen.
RNA/sda
Am vergangenen Samstag haben sich die 20 Mitglieder des Obersten Rates der
Religionsgelehrten von Saudi-Arabien zu einer geheimen Sondersitzung
versammelt. Fast drei Tage lang debattierten sie hinter verschlossenen
Türen darüber, was «Terrorismus» ist und was nicht. Am Montag
unterzeichneten sie schliesslich gemeinsam die erste offizielle saudische
«Fatwa» (islamisches Rechtsgutachten) gegen den Terrorismus.
Das Dokument, das am Dienstag von einigen arabischen Medien in Auszügen
veröffentlicht wurde, ist brisant, weil die einflussreichen Prediger darin
zum ersten Mal Farbe bekennen. Die überregionale arabische Tageszeitung
«Al-Sharq Al-Awsat» schrieb am Dienstag, diese Fatwa sei ebenso «wichtig
wie einmalig». Die Religionsgelehrten kamen unter der Leitung von Scheich
Abdulasis Al-Alscheich, dem Mufti des islamischen Königreichs, zusammen.
Sie stellen fest, dass nicht nur derjenige «kriminell handelt», der einen
Terroranschlag verübt, sondern auch jeder Muslim, der Terrorgruppen
«finanziell oder moralisch unterstützt». Wer im Namen des Islam Gutes tun
wolle, solle sich künftig darauf beschränken, für die Armen zu spenden oder
Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Dass einige der Bomber von heute einst
in Koranschulen, die mit Spenden aus Saudi-Arabien finanziert wurden, von
intoleranten Scheichs zum Hass auf den Westen erzogen worden waren, liessen
die Gelehrten jedoch unerwähnt.
Dass sich die Religionsgelehrten überhaupt versammelt haben, um über
Terror und Schuld zu sprechen, geht auf eine Initiative des Schura-Rates
zurück. Der saudische Schura-Rat ist eine Art Parlament ohne echte
Machtbefugnisse, dessen Abgeordnete vom König ernannt werden. König
Abdullah hatte sich in den vergangenen Jahren schon mehrfach über
extremistische Fatwas einzelner Gelehrter geärgert. Einen von ihnen,
Scheich Saad al-Schithri, hatte er im vergangenen Herbst sogar aus dem
Obersten Rat der Religionsgelehrten entfernt. Doch anders als in Syrien,
Tunesien, der Türkei oder Ägypten, wo der staatlichen Einfluss auf den
Klerus sehr gross ist, sind die islamischen Gelehrten in Saudi-Arabien in
ihren Meinungsäusserungen relativ unabhängig. Sie haben ihre eigene
Machtbasis. Das Wort eines bekannten Geistlichen hat im Land der heiligen
Stätten von Mekka und Medina, wo auf den islamischen Religionsunterricht
mehr Schulstunden entfallen als auf Physik und Chemie, oft mehr Gewicht als
das Wort eines Prinzen oder Ministers.
Show replies by date