Weg-Wort vom 13. November 2009
Die Welt verändern
Neulich fuhr vor mir auf der Autobahn ein alter 2CV, ein Döschwo. Sofort
schwelgte ich in Erinnerungen an meine Studentenzeit, denn u. a. war ein
Döschwo für mich und meine Kollegen damals der Inbegriff von Freiheit und
die Verkörperung eines Lebensstils jenseits des Establishments. Nur anders
sein als all diese Spiessbürger! Wir waren entschlossen, die Menschheit und
damit die Welt zu verbessern.
Nur, wie sollte sie aussehen, unsere schöne neue Welt? Auf alle Fälle anders
als die bestehende! Farbiger, individueller, freier, gerechter - und damit
besser.
Seither sind mehr als dreissig Jahre vergangen, und ich frage mich, was aus
meinen einstigen revolutionären Ideen geworden ist, dem
radikal-idealistischen Gedankengut von damals.
Die Geschichte des Sufis Bayazid ist für mich die beste aller Antworten auf
meine Frage. Bayazid erzählt nämlich folgendermassen:
In meiner Jugend war ich Revolutionär, und mein einziges Gebet zu Gott
lautete: Herr, gib mir die Kraft, die Welt zu ändern. Als ich die
mittleren Jahre erreichte und merkte, dass die Hälfte meines Lebens vertan
war, ohne dass ich eine einzige Seele geändert hatte, wandelte ich mein
Gebet ab und bat: Herr, gib mir die Gnade, all jene zu verändern, die mit
mir in Berührung kommen. Nur meine Familie und Freunde, dann bin ich schon
zufrieden. Nun, da ich ein alter Mann bin und meine Tage gezählt sind,
beginne ich einzusehen, wie töricht ich war. Mein einziges Gebet lautet nun:
Herr, gib mir die Gnade, mich selbst zu ändern. Wenn ich von Anfang an
darum gebetet hätte, wäre mein Leben nicht vertan.
Jeder möchte die Menschheit und damit die Welt ändern, aber kaum jemand
denkt daran, sich selbst zu ändern.
Für mich ist die Einsicht wichtig geworden, dass das Verändern wollen bei
mir selbst anfangen muss, auch wenn diese Einsicht mitunter schmerzvoll ist.
Das folgende kurze Gebet macht mir Mut, die Veränderung immer wieder
anzugehen:
Gott, mach deine Kirche lebendig und fange bei mir an-
Baue deine Gemeinde und fange bei mir an.
Lass Frieden überall auf Erden kommen und fange bei mir an.
Bring deine Liebe und Wahrheit zu allen Menschen und fange bei mir an.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Iris Daus
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Weg-Wort vom 12.November 2009-11-12
Übergang
Was zurückliegt, vergesse ich und strecke mich aus nach dem, was vor mir
liegt.(Philipper 3,13)
Wenn Artisten von Trapez zu Trapez durch die Kuppel fliegen, hält das
Zirkuspublikum den Atem an. Es weiss um das Risiko, mit dem die Künstler
spielen. Die Trapezkünstler perfektionieren den Übergang vom Loslassen zum
Erfassen. Sie können sich so ihren Lebensunterhalt verdienen, weil uns ihre
Fähigkeit loszulassen und ihr Vertrauen heil anzukommen fasziniert.
Viele von uns fürchten sich vor Übergängen. Einem Stellenwechsel oder einer
neuen Lebensphase sehen wir mit gemischten Gefühlen entgegen.
Was ist, wenn ich das Vertraute aufgebe, womit ich mich über längere Zeit
identifiziert habe? Mein Platz wird rasch von jemand anderem eingenommen,
und das nagt am eigenen Selbstvertrauen.
Es geht gut weiter auch ohne mich. Diese Einsicht verdaut man leichter, wenn
es gelingt los zu lassen. Je entschiedener man das tut, umso unbeschwerter
kann man das Neue angehen.
Eine Übergangsphase dauert manchmal wesentlich länger, als man es möchte.
Das gibt uns Zeit darüber nachzudenken und uns darauf einzustellen. Verträge
und Versicherungen sind dabei unsere Rettungsleinen. Die innere Ungewissheit
aber müssen wir ertragen, die lässt sich nicht absichern.
Wir befürchten, ob wir den Übergang auch mit dem Herzen schaffen.
Wie reagiere ich auf das Neue, was werde ich fühlen, geht es mir dann
besser? Auch wenn wir die Zukunft rosig sehen, können wir müssen alle nicht
sicher sein, dass alles so wird, wie wir es erwarten. Diese Spannung muss
man ertragen können, wenn man den Übergang wagt. Wie es gelingen kann, das
sagt uns Paulus mit dem obenstehenden Vers. Loslassen im rechten Moment, den
Schwung ausnutzen und sich entschlossen dem Neuen entgegenstrecken. Ein
zögerlicher Übergang wäre sehr gefährlich. Denn wer im Alten verhangen
bleibt verliert den Schwung und kommt nicht an.
Mit diesem Wegwort verabschiede ich mich von Ihnen. Mit freundlichen Grüssen
Susanne Wey
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 5. November 2009
Schlüsselerlebnisse
Ziemlich spät am Abend rief vor ein paar Tagen mein Nachbar an. Er war mit
dem Auto unterwegs, als ihm einfiel, dass er den Hausschlüssel offenbar im
Türschloss hatte stecken lassen. Besorgt bat er mich, doch nachzusehen, ob
dem so sei, allenfalls den Schlüssel abzuziehen und ihm durch einen Rückruf
auf sein Handy Gewissheit zu verschaffen. Da die Tageszeitung erst kurz
zuvor von einer massiven Häufung von Einbrüchen berichtet hatte, verstand
ich die Sorge meines
Nachbarn.
Das löste in mir die Erinnerung an ein eigenes Erlebnis aus. Ich wohnte
damals im Pfarrhaus. Einmal, als ich von meinen Einkäufen im Dorf zurück
kam, sah ich schon von Weitem zwei mir fremde Personen vor der Pfarrhaustüre
stehen, was mich etwas misstrauisch machte. Die Beiden aber empfingen mich
mit folgenden Worten:
Guten Tag! Wir warten wohl schon zehn Minuten hier. Aber wir dachten uns,
wenn der Schlüssel von aussen steckt, ist sicher jemand in der Nähe oder
zumindest nicht lange weg.
Diese zwei kleinen Begebenheiten lösten etwas in mir aus, sind sie doch für
mich ein Schlüsselerlebnis der besonderen Art für mein eigenes Leben:
Wir können und müssen nicht immer auf Empfang eingestellt sein. Schliesslich
haben wir Anrecht auf eine Privatsphäre. Die Frage ist aber, ob wir es
zulassen, dass unsere Herzenstür sich öffnet für Menschen, die auf uns
warten. Oder vergewissern wir uns vielmehr, dass wir auch tatsächlich
abgeschlossen, das heisst dicht gemacht haben für unerwartete Besucher?
Voller Angst darauf bedacht, unser Leben so zu sichern, dass wir im vollen
Wortsinn unempfänglich werden für Andere? Das würde dann bedeuten, dass
wir mit unserem Abschliessen andere, aber auch uns selbst aussperren würden.
Die Teilnahme, aber auch die Teilgabe an Freud und Leid, das Tor zum Leben,
bliebe uns verschlossen. Jesus sagt. Ich stehe vor der Tür und klopfe an.
(Offb 3,20)
Wir haben den Schlüssel, um zu öffnen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 9. November 2009
Die Frage nach der wahren Religion
In Lessings Drama Nathan der Weise steht im Mittelpunkt der Handlung die
Ringparabel: Der muslimische Herrscher Saladin legt dem weisen Juden Nathan
die Frage nach der wahren Religion vor. Nathan antwortet mit einem
Gleichnis, der Ringparabel, welche als pointierte Formulierung der
Toleranzidee gilt:
Ein Mann besitzt ein kostbares Familienerbstück, einen Ring. Welchem seiner
drei Söhne soll er ihn vererben? Er möchte keinen bevorzugen, da er alle
drei liebt. Deshalb lässt er Duplikate herstellen und hinterlässt jedem Sohn
einen Ring.
Nach dem Tod des Vaters möchten die Söhne vor Gericht klären lassen, welches
in Tat und Wahrheit der einzig echte Ring sei. Die überraschende Antwort des
Richters ist folgende: Jeder von ihnen solle glauben, dass sein Ring der
echte sei, da ihr Vater alle drei gleich geliebt habe und deshalb keinen
habe begünstigen wollen. Saladin versteht schnell die Botschaft von der
Gleichberechtigung der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam.
Noch bis zum 7. November dauert die 3. Woche der Religionen in unserem Land,
organisiert von der interreligiösen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz. Es
ist eine Plattform für Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher
Religionen. Etwa 170 Anlässe finden an 60 Orten statt.
Aleviten, Hinduisten, Moslems, Buddhisten, Bahai, Juden und Christen setzen
es sich dabei zum Ziel, sich über andere Ansichten, Bekenntnisse und
Glaubens-
kulturen zu informieren und sie gelten zu lassen.
Im Basler Rathaus haben zudem vor einer Woche Vertreter muslimischer,
jüdischer und christlicher Religionen den Vertrag zu einem vorerst
dreijährigen Dialogprojekt namens Zelt Abrahams unterzeichnet. Dabei soll
der Charakter des Zeltes sowohl die Begehbarkeit in alle Richtungen als auch
die Offenheit symbolisieren ein hoffnungsvolles Projekt, vielleicht auch
eine vorweg genommene Wirklichkeit, wie Pfr. Markus Christ aus Basel sagte.
Voraussetzung dafür ist, dass die Menschen sich nicht darauf versteifen, die
einzig wahre Religion zu besitzen. Jesus setzte nicht auf Religionen,
sondern auf Menschen. Der Mensch ist wichtiger als die Religion, und
wichtiger als der Sabbat.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Iris Daus
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