Weg-Wort vom 12. Februar 2009
Es könnte besser sein
Ich schaue am Morgen in den Spiegel und stelle kritisch fest: Du könntest
besser aussehen. Ich schaue meine Frau und meine Kinder an. Ganz abgesehen
von ihrer äusseren Erscheinung finde ich vieles, das verbesserungsfähig ist.
Ich schaue mich in meiner weiteren Umgebung um in der Gesellschaft, Politik
und Wirtschaft und in der Kirche und komme zum selben Ergebnis: Das alles
könnte besser sein.
Leben wir in der schlechtesten aller möglichen Welten? Es könnte besser
sein. In dem Wunsch, die Welt um uns herum zu optimieren, stellen wir fest,
dass alles nicht so ist, wie es sein sollte, nämlich: schön, gut, gerecht
und ordentlich. Wenn uns einer sagt: Es ist doch gut, so wie es ist, dann
halten wir ihn für unkritisch und naiv.
Wenn wir aber das eigene Leben, die Menschen um uns und die ganze Welt immer
unter dem Vorzeichen des Es könnte besser sein betrachten, dann erleiden
wir das Leben eher als dass wir es aktiv führen und gestalten. Diese Haltung
lähmt uns und raubt uns den Mut, mit langem Atem Schritt für Schritt etwas
zu gestalten.
Wenn wir nur die Defizite wahrnehmen, nur das, was uns an unserem eigenen
Aussehen, an unserem Leben und an unseren Mitmenschen nicht gefällt, dann
ist unser Spiegel trüb oder wir sind wohl auf einem Auge blind.
Wenn wir aber den Spiegel putzen und die Augen öffnen, dann erschliesst sich
uns eine positive Wahrnehmung der Wirklichkeit, so wie sie ist, und nicht,
wie sie sein könnte und nach unserem Empfinden sein sollte. Dann können wir
dankbar wahrnehmen und anerkennen, was schon vorhanden ist, was gut ist und
funktioniert in unserem Leben, an unserem Arbeitsplatz, in unseren
Beziehungen, in unserer Familie und in unserem Staat.
Hans-Dieter Hüsch, der bekannte Kabarettist vom Niederrhein, stellte in
seinen Auftritten häufig die Frage: Sollen wir sie lieben, diese Welt?
Sollen wir sie lieben? Und er antwortete: Ich möchte meinen, wir sollen es
üben! ja gerade heute.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 5. Februar 2009-02-05
Nun sag: Wie hast Dus mit der Religion?
Das ist die berühmte Frage, die Gretchen dem Faust stellt. Weil Faust mit
gepflegten Worten sich der Frage zu entziehen versucht, fragt Gretchen ihn
direkt: Glaubst du an Gott?
Gretchen will wissen was Faust glaubt, bevor sie ihn an sich heranlässt. Sie
ist vorsichtig und will wissen, ob er ihre Werte teilt. Denn geteilte Werte
sind ein gutes Fundament für eine Beziehung.
Wenn wir wissen, was einer Person heilig ist, dann können wir besser
abschätzen, mit wem wir es zu tun haben. Teilen wir Werte, dann fällt es
leichter uns zu vertrauen uns auf eine Beziehung einzulassen. Wir dürfen
annehmen, dass wir uns gegenseitig respektieren und darum weniger verletzen.
Aber wer gibt gerne preis, was ihn oder sie im Tiefsten beschäftigt? Das ist
sehr privat und äusserst kostbar für jede Person. Um sich gegenüber andern
zu öffnen, braucht es Geborgenheit und Vertrauen. Dort wo man selber
Bedenken hat, ist es auch ratsam zurückhaltend zu sein.
So spricht man kaum je über den eigenen Glauben. Menschen, die sich dazu
äussern, befremden uns meistens. Es ist uns peinlich, weil sie es wagen über
das zu reden, was uns selbst tabu ist.
Tabu ist etwas, das wir nicht berühren wollen, weil es für uns negative
Auswirkungen haben könnte. So wird ein Tabu zu einer ungeschriebenen Regel
in einer Beziehung oder in der Gesellschaft.
Das Tabu, nicht den persönlichen Glauben preiszugeben, ist bei uns so stark,
dass selbst in kirchlichen Kreisen kaum für das gemeinsame Gelingen bei
einem Projekt gebetet wird. Lieber liest man irgendeinen philosophischen
Text zur Einstimmung, das ist unverfänglicher. Für das gemeinsame Gebet
verweist man auf den Gottesdienst: Dort wahrt die liturgische Sprache die
Distanz und berührt uns dadurch weniger.
Warum ist es so unbequem, wenn jemand seinen Glauben offen bekennt? Könnte
es sein, dass uns im Vergleich etwas fehlt? Ich meine, es mangelt meist
nicht am Glauben, sondern es ist die Scham darüber, den Glauben so lau zu
leben. Denn was die Menschen beschämt, das belegen sie mit einem Tabu.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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