Weg-Wort vom 14. Mai 2009
Warten
«Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?»
(Mt 11,3)
Diese Frage liess Johannes der Täufer durch seine Boten an Jesus stellen.
Johannes wollte wissen, ob er die Menschen noch länger auf die Ankunft des
Erlösers vorbereiten muss.
Wer wartet, erwartet auch, dass sich nach Ablauf der Wartezeit etwas für ihn
verändert. Meist warten wir auf etwas Gutes - bis das Kind geboren wird
bis wir wieder gesund sind bis die Prüfung bestanden ist oder man
pensioniert wird.
Dann, so beabsichtigt man, wird man sich das zugestehen, worauf man während
dem Warten verzichtet. Ist es dann endlich soweit, kommt man oft gar nicht
dazu es auszukosten. Denn man wartet bereits wieder auf etwas Besseres,
anstatt sich über das zu freuen, das eingetroffen ist.
So verpasst man mit Warten das Gute, das Leben einem bietet.
Wer reist, wartet oft stundenlang. Ablenkung ist dagegen die gängige
Strategie. Mit verstöpselten Ohren, beim Einkaufen oder bereits am Telefon
vorauseilend, ver-sucht man, die Wartezeit hinter sich zu bringen. So kommen
kostbare Lebens-stunden abhanden, weil man sie eigentlich gar lebt.
Wenn es während Wartezeiten langweilig wird, weil keiner mit uns reden will,
dann wäre da noch Gott. Er erwartet uns immer. Suchen wir mit ihm das
Gespräch beim Warten, so wird aus öden Minuten gelebte Zeit. Wenn wir
anstatt uns zu langweilen beten, dann öffnet sich unser Herz. Wir sind dann
auch bereit, zu sehen was um uns ist. Dann müssen wir nicht mehr auf Gutes
warten. Wir erkennen, dass es bereits da ist.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 7. Mai 2009
So sollt ihr beten
Wer in einem christlich geprägten Milieu aufgewachsen ist, hat wohl keinen
anderen Text in seinem Leben häufiger gesprochen als das Vater unser oder
Unser Vater im Himmel... Auswendig wissen ihn sogar die noch, die schon
längst nicht mehr beten.
Das berühmteste Gebet der Christenheit ist zugleich das schwierigste. Nur
eine einzige Bitte scheint unmittelbar verständlich zu sein: Unser
tägliches Brot gib uns heute. Die anderen Bitten tönen wie eine
Aneinander¬reihung frommer Wendungen. Was meinen wir etwa damit, wenn wir
sagen: Geheiligt werde dein Name? Oder: Erlöse uns von dem Bösen? Was
ist das Böse in meinem Leben? Und wie geht das: einen Namen heiligen? Kann
man sich in so einem weltentrückten Text wirklich wiederfinden, so dass
unsere Existenz mit ihrer Hoffnung und ihren Abgründen darin aufgehoben ist?
Für viele Menschen enthält jede selber formulierte Bitte und sei sie noch
so stammelnd vorgebracht, mehr Leben und existentielle Intensität als das
Vaterunser. Ich denke, schon mancher von uns hat sich, wenn er nach dem
Beten aus der frommen Zerstreuung erwacht, mit Befremden und schlechtem
Gewissen gefragt: Was habe ich da eben gesagt? Und wie habe ich es gemeint?
In der Einleitung zum Vaterunser-Wortlaut, wie ihn das Matthäusevangelium
überliefert, spricht Jes us ausdrücklich vom Wie des Betens: Nicht wie die
heuchlerischen Pharisäer sollen wir es tun, die ihre öffentliche
Gebetsschau veranstalten. Und nicht wie die Heiden, die all ihre
Formulierungskünste aufbieten: Denn euer Vater weiss ja, was ihr braucht,
noch ehe ihr ihn bittet. Gott, unser Schöpfer, ist uns näher und inwendiger
als wir es je sein können, und all unserem Beten bereits voraus. Und diesem
Gott, der unsere Worte nicht braucht, entspricht weniger dieser oder ein
anderer Inhalt unseres Betens, als vielmehr eine innere Haltung und
Bereitschaft.
Für mich ist das Vaterunser ein vertrauter Wortlaut, der die grossen
Herzensanliegen von Jesus enthält. Zu diesem Gebet greife ich gerne, wenn
mir die Kraft und Fantasie für ein frei formuliertes Gebet fehlt. Es ist für
mich aber auch ein Leitfaden, der mich aus der Enge des individualistischen
Betens herausführt in die Weite des Betens Jesu.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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