Weg-Wort vom 13. August 2010
Das gehört zu meinen Kindheitserinnerungen: Am Sonntag wird gut gegessen.
Sei es ein ausgiebiger und opulenter Brunch oder ein richtig feines Mittag-
oder Abendessen mit Fleisch, Gemüse, Beilage und Dessert. Und wir haben uns
Zeit gelassen am Tisch, haben miteinander gesprochen, gelacht und genossen.
Ein Leitsatz meiner Mutter lautet heute noch: Mit Liebe gekochtes Essen ist
die halbe Erziehung, ist die Hälfte des Wohlfühlens. Sie hat uns darum auch
Kochen gelehrt. Denn das Essenmachen ist nicht an ein Geschlecht gebunden.
Wo es mit Liebe geschieht und mit Zeit zelebriert wird, da stellt sich
unweigerlich das Wohlbefinden ein.
Und es kann auch das einfache Essen sein. Hörndli, Gehacktes und Apfelmus
haben die gleiche Wirkung wie ein Kalbsbraten, Karotten und Kartoffelpuffer.
Wo mit Liebe gekocht und mit Freude der Tisch geteilt wird, da ist das
Wohlbefinden Zuhause.
Und dazu gehört auch, den Tisch schön zu decken. Ein schönes Tischtuch,
Servietten, Blumen von draussen auf dem Tisch, eine Tischordnung vielleicht
einmal anders als gewohnt, alle sitzen miteinander ab und gegessen wird
sowieso erst, wenn alle geschöpft bekommen haben. Ja, und ein Tischgebet
vorher ein stilles oder ein formuliertes, das lässt uns aufleben.
Teresa von Avila sagt: Wenn ich Gott nicht zwischen den Kochtöpfen finde,
dann finde ich Gott auch nicht in der Meditation.
Ein tolles Wort, das uns alle einlädt, unsere gemeinsamen Essen mit Liebe zu
kochen und mit Liebe zu zelebrieren. Davon leben wir mindestens zur Hälfte!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 12. August 2010
Zur Ruhe kommen
Seine Frau wollte für einmal allein wegfahren, um eine Woche in Ruhe über
sich, ihre Ehe, ja ihr ganzes Leben nachzudenken. Auch von ihm wünschte sie
sich während dieser Zeit eine Art Standortbestimmung über sein Leben.
Morgen nun sollte sie zurückkommen, und er wusste nicht, was er ihr sagen
wollte. Es war immer so viel los, dass er keine Zeit hatte, sich auf ihren
Wunsch einzulassen. Zudem wusste er gar nicht, wie er das machen sollte.
Immer wenn er es versuchte, musste er seine innere Unruhe sofort mit etwas
anderem übertönen.
Viele Menschen gestalten ihre Tage so, dass keine Zeit übrig bleibt für Ruhe
und Stille. Selbst am freien Wochenende und sogar im Urlaub ist jeder Tag
mit betriebsamem Tun ausgefüllt. Und wenn mal gerade nichts los ist, sind
Fernsehen, Internet und Handy jederzeit griffbereit.
Wir aber brauchen die Stille, um zu uns selbst zu kommen. Für den
Philoso-phen Ludwig Wittgenstein sind die Probleme des Lebens an der
Oberfläche unlösbar und nur in der Tiefe zu lösen. Wir finden uns selbst
erst, wenn wir uns unserer inneren Welt öffnen. Sie hat vielfältige Stimmen,
die gehört und ernst genommen werden wollen.
Um aber zur Ruhe zu kommen, muss ich zuerst die innere Unruhe aushalten. Und
nicht dagegen ankämpfen, sonst werde ich sie nie los! Bewusst wahr-nehmen
und ansehen, was da alles in mir auftaucht auch das Unangeneh-me,
Bedrohliche und Angstauslösende und es dann wieder loslassen. So wie die
Gedanken, die kommen und gehen. Alles darf sein. Ich schaue meine ganze
innere Unruhe an, wie sie aufsteigt, stärker wird und wieder verebbt.
Mit der Zeit kann ich mit ihr sein. Sie bestimmt mich nicht mehr. Sie ist
nur noch ein Teil von mir. Ich komme zur Ruhe im Aushalten der Unruhe in
mir.
Erst aus dieser Ruhe heraus kann ich mich dem ganzen Reichtum meiner inneren
Welt öffnen. Und in der Stille wachsen lassen, was da in mir reifen und mit
der Zeit neu Gestalt annehmen möchte.
Die Ferienzeit ist eine gute Gelegenheit, das Ruhigwerden einzuüben!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 11. August 2011
Cerviko-thorako-vertebrales Syndrom Was ist denn das?
Sie wissen nicht, was das ist? Erstaunlich, denn ich vermute, nicht nur ich
leide darunter. Schmerzen im Brust- und Halswirbelbereich. Ich bin
verspannt. Ich bin verspannt und habe darum Schmerzen. Das tönt so banal. Da
klingt die medizinische Bezeichnung schon viel ernsthafter. Und woher kommen
die Schmerzen? Die Antwort ist wohl ebenso banal: Aus dem Alltag. Und der
Alltag, so banal er ist, kann solche Schmerzen verursachen, dass alles in
einem steif wird. Und beim Nacken fängts an, beim Atlas. Also dort, wo Atlas
nach der Sage das Himmelsgewölbe auf den Schultern trug und so stützte.
Nicht selten wurde daraus die ganze Welt, die er zu tragen hatte. An welchen
Welten tragen wir so schwer, dass die Muskeln verspannen und die Last immer
schwerer wird und die Schmerzen immer grösser? Es hilft, was belastet, beim
Namen nennen zu können. Es ist nicht die Befreiung, aber ein erster Schritt.
Und der zweite ist: Ich versuche mich von der Last zu befreien. Wenn das
geht, gut. Wenn das nicht so einfach ist, brauche ich dringend eine
Hilfestellung. Ich muss mir überlegen, was gibt es Schönes in der Welt, das
mir gut tut und woran ich Freude habe. Dazu brauche ich Zeit, den Willen und
die Bereitschaft, mir etwas zu gönnen. Ein Bad, eine Massage, eine Begegnung
mit Freunden. Es gibt so vieles, was helfen kann dabei sind Kontakte,
Begegnungen, Berührungen viel wichtiger und nachhaltiger als schnell
eingeworfene Medikamente.
Pausen, Unterbrüche, stille Zeiten sind wichtig Gebete helfen dabei. Bei
all dem gilt halt immer noch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wenn
diese Balance nicht mehr ist, beginnt es mit den Schmerzen im Nacken, mit
dem Steifwerden und den Verspannun¬gen. Die Muskeln verhärten sich und nicht
nur Muskeln, und wir verlieren das Weiche, Lebendige, Liebevolle im Leben.
Lassen Sie sich erweichen: Oder mit Wolf Biermann: Du, lass dich nicht
verhärten in dieser harten Zeit.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 10. August 2010
Falten: Wie das Alter einen schön macht
Haben Sie bei sich schon die ersten Falten entdeckt, nicht nur die
Lachfalten, sondern die andern im Gesicht, oder am Hals oder an den Händen?
Und wie haben Sie reagiert?
Ist Facelifting angesagt oder reicht Schmieren und Salben das hilft ja
allenthalben.
Oder haben Sie sich darüber gefreut, dass Ihr Alter sichtbar wird, dass all
die Erfahrungen, die Erlebnisse, die schönen und die schmerzhaften zu sehen
sind?
Falten in Gesicht und an Händen sind schön. Junge, glatte Haut auch aber
nicht nur. Es gibt nicht nur Jugend, es gibt auch das Alter und jede Phase
hat ihre Schönheit.
Sehen wir den Baum an, wie er mit jedem Jahrring, den er ansetzt, wächst,
den Wein, wie er reift, das Buch und das Möbelstück vieles wird
wertvoller, wenn es altert und teuer gehandelt. Warum sollen wir nicht
wertvoller sein, wenn wir älter werden, warum nicht schön.
Letzthin habe ich in einem Gottesdienst alten Menschen gesagt, sie sollten
jeden Morgen und jeden Abend in den Spiegel sehen und sich sagen: Du bist
wunderschön!. Sie sind nicht vor Lachen vom Stuhl gekippt, aber geglaubt
haben sie es mir doch nicht ganz: Verrunzelte, alte Gesichter sollen schön
sein? Das ginge ja noch, aber das eigene verrunzelte, alte Gesicht soll als
schön angeschaut werden, nicht von Fremden, sondern von mir selbst?
Warum sollte das Alter nicht auch eine schöne Seite haben? Die Falten, die
ein Gesicht zieren, die Runzeln, die Spuren, die von einem reichhaltigen
Leben erzählen, von wunderschönen Dingen und tiefem Leiden. Macht nicht erst
das Leben, je älter man wird, uns schön? Ist nicht erst das geschriebene
Buch lesenswert?
In jedem Fall: Schauen Sie sich an, im Spiegel oder in den Augen eines nahen
Menschen. Schauen Sie sich an und sagen Sie sich laut und deutlich, dass Sie
schön sind. Auch wenn Sie es sich selbst nicht glauben, Sie sind es.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 9. August 2010
Schreib!
Meine Frau hat zum 60. Geburtstag Briefe von ihrem Gotti zurück bekommen,
die sie ihr in der Zeit der Trauer über den Tod der Eltern geschrieben hat.
Sie waren in ein Buch gelegt, das ihr am Geburtstag geschenkt worden ist.
Meine Frau hat es erst zu Hause ausgepackt und dann die Briefe gesehen, sie
gelesen und lange geweint aus Trauer und Dankbarkeit.
Und vor mir liegt ein Buch mit leeren Seiten. Nur die erste Seite ist
bedruckt. Da steht:
Nimm dieses Buch.
Sieh die leeren Seiten.
Setz dich an einen stillen Ort.
Erinnere dich,
Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Samstag.
Wofür bist du dankbar?
Schreib es auf.
Schlag das Buch erst zu, wenn fünf Dinge auf der Seite stehen.
Schreib.
Jede Woche, ein Jahr.
Dein Leben ist schön.
Ihr Leben, mein Leben ist schön! Da ist so vieles, worüber wir dankbar sein
können. Schreiben wir es auf, damit wir uns erinnern, damit es nicht
verloren geht.
Der Alltag, auch das Schwere lässt uns das Schöne, das, wofür wir dankbar
sein können, schnell aus dem Auge verlieren. Schreiben wir es auf, damit es
uns nicht abhanden kommt!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 6. August 2010
Die längste Reise
Auf Wanderungen komme ich meistens an kleinen Bergkapellen vorbei. Sie
wirken einladend auf mich in ihrer Schlichtheit inmitten der Natur. Ich
trete ein, setze mich auf eine der wenigen Bänke. In der Kühle kann ich
rasten und ausruhen. Ich halte einen stummen Dialog mit Gott und sammle neue
Kräfte zum Weitergehen.
Einmal fand ich in einer Kapelle ein Blatt mit einem Gebet von Dag
Hammerskjöld. Ich las es und merkte, wie die Worte mir halfen, tiefer in das
Geheimnis des Göttlichen einzutauchen.
"Ich sitze hier vor dir, Herr, aufrecht und entspannt
In diesem gegenwärtigen Augenblick
lasse ich all meine Pläne, Sorgen und Ängste los.
Ich lege sie jetzt in deine Hände, Herr.
Ich lockere den Griff, mit dem ich sie halte, und lasse sie dir.
Für den Augenblick überlasse ich sie dir.
Ich warte auf dich erwartungsvoll.
Du kommst auf mich zu, und ich lasse mich von dir tragen.
Ich beginne die Reise nach innen.
Ich reise in mich hinein zum innersten Kern meines Seins, wo du wohnst.
Aus diesem tiefsten Punkt meines Wesens bist du immer schon vor mir da,
schaffst, belebst, stärkst ohne Unterlass meine ganze Person."
Ich erinnere mich nicht mehr, wie lange ich in der Kapelle verweilt habe.
Aber als ich aus dem Halbdunkel wieder ins Freie trat und die Sonne mich mit
ihrem gleissenden Licht einen Augenblick lang blendete, war mir mit einem
Mal klar, was Dag Hammerskjöld wohl gemeint hatte, als er sagte:
Die längste Reise ist der Weg nach innen.
Gestärkt und voll Freude setzte ich meine Wanderung fort.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 5. August 2010
Es sind alle so nett
Es ist schön, wenn alle so nett sind, so lieb, einen auf Händen tragen und
es nicht nur so meinen, sondern es eben auch tun. Das ist gut und tut gut.
Wenn Ihnen solches widerfährt, geniessen Sie es und pflegen Sie diese
Beziehung.
Diese Form von Beziehung meint Franz Hohler in seinem Lied Es sii alli so
nätt kaum. Für mich spricht er eine erzwungene Freundlichkeit an, die
gleichsam als Gruppendoktrin wie ein Damokles-schwert auf einem lastet. Es
darf gar nichts anderes gelten als Wir haben es gut miteinander.
Überzuckerte Boshaftigkeit, könnte man dem sagen. Wenn Sie mitspielen, dann
ist alles in Butter, wehe wenn nicht. Dieser Hang zum Es guthaben
miteinander geht oft mit der Unfähigkeit miteinander zu streiten einher.
Sachkritik ist nicht erlaubt, oder nur einseitig und wird dann in jedem
Fall als persönlichen Angriff gedeutet. Wer sich da wider-spenstig zeigt,
ist als Störefried abgestempelt und am liebsten aus der Gruppe ausgestossen.
Es sind alle so nett Gefährlich, weil das nur die Oberfläche betrifft. So
hat mir einmal ein Mann davon berichtet, wie er sich in einer religiösen
Gemeinschaft so unendlich wohl gefühlt habe alle waren so nett in den
Gottesdiensten, in den Gebetskreisen, und er hat geglaubt, wie es sich
gehört in dieser Gruppierung. Problematisch wurde es erst als er Krebs bekam
und mit der Krankheit auch Zweifel aufkamen, Zweifel an Gott, am Gebet und
er begann eine andere Sprache zu sprechen. Auf einmal hörten die
Nettigkeiten auf, Gespräche verstummten in seiner Nähe, und je länger je
mehr fühlte er sich ausgeschlossen. Die Gemeinschaft trug ihn nicht mehr und
ertrug ihn auch nicht mehr, und er purzelte aus ihr heraus. Immer noch waren
alle so nett.
Nett sein ist nicht alles, ein gutes Streitklima täte dort gut, wo alle
behaupten, sie hätten keine Probleme und bei ihnen funktioniere alles
bestens und man ihren zum Lächeln gezwungenen Gesichtern ansieht, dass doch
nicht alles koscher ist. Ein gutes Streitklima tut wohl.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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