Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 13. August 2020
Üben
Gleichermassen im Muskeltraining, in der Hirnforschung und in der
Lerntheorie ist die Erkenntnis fest verankert, die auf Englisch kurz und
bündig lautet „Use it or lose it", was übersetzt so viel bedeutet wie
„Gebrauche es oder du wirst es verlieren." Muskelgruppen, die über eine
gewisse Zeit nicht gefordert werden und nicht im Einsatz sind, bilden
sich zurück, während viel genutzte Partien sich vergrössern.
Fähigkeiten, die wir nicht pflegen und einsetzen, verlieren sich wieder,
während wir sie durch regelmässiges Üben vertiefen und ausbauen. Wer ein
Musikinstrument spielt, kennt diese Erfahrung gut.
Diese Beobachtung spielt in der Entwicklung unserer Persönlichkeit eine
bedeutende Rolle. Wie wir sein wollen können wir beeinflussen, indem wir
gewünschte Eigenschaften regelmässig und mit Enthusiasmus ausüben.
Möchte ich etwa mehr Glücklich-Sein ausstrahlen, so ist es hilfreich und
sogar notwendig, dass ich aktiv den freudvollen Dingen nachgehe, und
dass ich Positives im Leben wahrnehme und mit Dankbarkeit annehme.
„Nicht die glücklichen Menschen sind dankbar, sondern dankbare Menschen
sind glücklich", heisst es treffend.
Die Kehrseite ist auch bedeutsam. Verhaltensweisen, die ich nicht mehr
will, werde ich los, indem ich sie sein lasse. Das klingt zuerst banal
und ist einfacher gesagt als getan, zum Beispiel mit dem Rauchen oder
Fluchen aufzuhören. Es braucht eine felsenfeste Entscheidung, gute
Selbstwahrnehmung, in welchen Situationen der Drang kommt, und ein
bewusstes und konsequentes Anders-Handeln. Ganz wichtig ist dabei, auch
kleinste Erfolge zu feiern, und bei Rückfällen liebevoll mit mir zu
sein. Nach den ersten harten Schritten wird es einfacher, und mit Geduld
geschieht die Entwicklung ganz gewiss.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von wal_172619 auf Pixabay
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Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
WEG-WORT VOM 7. AUGUST 2020
Lebensrisiko
Im Animationsfilm „Findet Nemo" lässt der Clownfisch-Vater Marlin sein
einziges Kind Nemo sehr behütet aufwachsen. Als dieser sich vor das Riff
herauswagt und von Tauchern eingefangen wird, macht Marlin sich auf die
Suche, um seinen Sohn zu retten. Unterwegs trifft er die vergessliche
Fischdame Dorie und klagt ihr sein Leid. Er sagt: „Ich hab ihm doch
versprochen, dass ich nie zulasse, dass ihm was passiert." Darauf
antwortet Dorie: „Das ist aber ein komisches Versprechen", und sie
erklärt dem verdutzt dreinschauenden Marlin: „Du kannst doch nicht
zulassen, dass ihm nie etwas passiert. Dann passiert ihm doch nie
etwas."
Väter und Mütter kennen diesen Zwiespalt, auf der einen Seite ihren
Kindern Lebenserfahrungen zu ermöglichen, nach denen diese hungern, und
sie andererseits vor Leid und Gefahren so weit wie möglich zu bewahren.
Irgendwann werden die Eltern die Realität anerkennen müssen, dass
Letzteres unmöglich ist. Jeder Mensch bewegt sich selbst in der Spannung
von Sicherheit und Lebendigkeit. Manche nehmen grosse Risiken auf sich,
um den Kick des Lebens zu spüren, andere sind vorsichtig und benötigen
viel Schutz.
Schlussendlich ist es unmöglich, alle Risiken auszuschalten. Das hat
Erich Kästner treffend in Worte gefasst: „Wird's besser? Wird's
schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer
lebensgefährlich!" Wer sich nur darauf konzentriert, sich gegen alles
Mögliche abzusichern, wird unweigerlich an Lebendigkeit einbüssen. Das
klingt auch im Ausspruch Jesu an: „Wer sein Leben retten will, wird es
verlieren." (Mt 16,25) Es gibt die Alternative: sich immer wieder aus
der Komfortzone zu wagen, sich den Ängsten zu stellen und am Umgang mit
den Risiken des Lebens sogar Freude zu finden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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ICH BIN EIN GESCHENK
WEG-WORT VOM 6. AUGUST 2020
Was man in der Halle am HB Zürich nicht alles entdecken kann. In einer
freien halben Stunde liess ich mich inspirieren von den Tattoos
verschiedenster Leute. Da waren Frauen mit tätowierten Blumen und
filigranen Schmetterlingen. Sie wollten wohl einen Hinweis auf die
Schönheit und Leichtigkeit des Lebens geben. Männer mit Totenköpfen oder
Raubtierfiguren möchten nicht als Angsthasen, sondern als starke Typen
erscheinen. Das überraschendste Tattoo einer jungen hübschen Frau
faszinierte mich und weckte mein Interesse.
Sie stand da in ihren kurzen Hosen und scherzte mit ihrer Freundin. Auf
dem Oberschenkel hatte sie ein Geschenkband mit einer Masche
eintätowiert. Was will sie damit zum Ausdruck bringen? Etwa die
Botschaft: „Ich bin ein Geschenk!" Soll dieses Tattoo ein wortloser
Hinweis sein: „Ich bin wertvoll, ich bin liebenswürdig?" Es reizte mich
diese junge Frau anzusprechen und sie zu fragen, warum sie dieses Motiv
gewählt hatte. Um nicht aufdringlich zu sein, liess ich die die Frage
bleiben.
Eigenartig, wir tun uns schwer zu sagen: „Ich bin ein Geschenk!" Wir
sagen aber ohne Bedenken zu andern: „Gut, dass es dich gibt! Du bist ein
Schatz!" Und in einem Tauflied von Andrew Bond heisst es: „Du bisch es
Gschänk vom Himmel…" Wäre es nicht ein guter Einstieg in den neuen Tag,
in den Spiegel zu schauen und mit einem gesunden Selbstbewusstsein zu
sagen: „Ich bin ok und als Geschenk Gottes für die Mitmenschen gedacht."
Ich brauche das zwar nicht laut zu verkünden oder in die Haut stechen zu
lassen, aber die Mitmenschen, denen ich begegne, sollen es spüren und
erleben dürfen und mir bestätigen können: „An dir habe ich das
Geschenk!"
Tattoo Schleife Bildquelle: mytattoo.ch
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 5. August 2020
Weiblich und männlich
Im Weg-Wort gestern wurde das Yin und Yang beschrieben. Es ist üblich,
dass auch die Geschlechter in diese Polarität eingeordnet werden, dass
das Weibliche dem Yin, also dem Dunkeln, Weichen, Passiven, Empfangenden
zugeordnet wird, und das Männliche dem Yang, dem Hellen, Harten,
Aktiven, Durchdringenden. Das entspricht auf den ersten Blick den
Geschlechter-Vorstellungen, die wir aus unserem eigenen Kulturkreis
kennen.
Gegen die Geschlechter-Klischees und Rollenzuschreibungen wehren sich
heute junge Menschen. Sie wollen nicht nur mit einer Seite identifiziert
werden und entdecken in sich ebenfalls die anderen Qualitäten. Wie lange
wurden solche Wahrnehmungen verleugnet, und wieviel Unheil wurde dadurch
in Erziehung und Gesellschaft angerichtet. Buben wurden für ihre Tränen
verlacht, konnten ihre weichen, empfindsamen und empfangenden Seiten
nicht entwickeln. Und Mädchen wurden schief angeschaut für ihre klaren,
wilden und fordernden Verhaltensweisen. Gesellschaftliche Rollen und
Bewertungen wurden mit den alten Geschlechter-Vorstellungen zementiert.
Das Taijitu, das kreisförmige Symbol mit den beiden geschwungenen hellen
und dunklen Flächen, beinhaltet in jedem Teil einen Punkt der anderen
Farbe. So finden wir Menschen in uns alle Qualitäten, die weiblichen und
die männlichen - die wir in Zukunft besser Yin- und Yang-Qualitäten
nennen sollten. Innerhalb der Polarität können wir uns bewegen und
brauchen keinen Teil von uns mehr zu verstecken. Auch unsere Vorstellung
von Gott wäre nicht ganz, würden wir ihn nur als männlich, als Vater
ansehen. Sie ist die liebevolle unbewegte Bewegende, in der sich der
Tanz der Polaritäten abspielt.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von Igor Ovsyannykov auf Pixabay
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Weg-Wort vom 4. August 2020
Polarität
In den sozialen Medien beobachte ich, wie in umstrittenen Themen zum
Beispiel der Pandemie die Gegensätze zunehmen. Wer eine andere
Auffassung vertritt, wird rasch zum Gegner und wahlweise als
obrigkeitshörig oder Verschwörungstheoretiker abgestempelt.
Schwarz-Weiss-Denken beherrscht die öffentlichen Diskussionen, und hält
auch Einzug ins persönliche Umfeld. In zunehmendem Masse gilt ein wenig
differenziertes „Entweder - oder".
Wie anders ist es, wenn wir die Sache mit der Haltung des „Sowohl - als
auch" betrachten. Statt unüberwindlicher Gegensätze würden wir mehr
Polaritäten wahrnehmen, die zum Ganzen gehören. Der erste biblische
Schöpfungsbericht liefert ein treffendes Bild dafür, wo Gott das Licht
von der Dunkelheit scheidet, und damit Tag und Nacht erschafft, die erst
miteinander den Wechsel der Zeit bilden.
Östliche Kulturen pflegen das Denken in Polaritäten. Yin und Yang sind
auch bei uns populär geworden. Yang steht ursprünglich für die
Sonnenseite des Berges und Yin für den Schattenhang. Daraus leiten sich
die Yang-Qualitäten ab, das Helle, Harte, Heisse, Aktive und Bewegte,
sowie die Yin-Qualitäten, das Dunkle, Weiche, Kühle, Passive und Ruhige.
Auch das Weibliche und das Männliche wurden Yin bzw. Yang zugeordnet.
Wieviel verändert sich, wenn wir die Polaritäten anerkennen, in denen
sich der Tanz des Lebens entfaltet, anstatt uns wegen vermeintlich
trennender Gegensätze zu bekämpfen. In Debatten würden wir alle
Bedürfnisse würdigen, das nach Gesundheit und Sicherheit ebenso wie das
nach Transparenz und Selbstbestimmung, und gemeinsam würden wir sie alle
berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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