An unserem Bahnhof war ich neulich von einer Gruppe falscher Bayern umringt. Junge Leute in billigen Dirndln, in schrillen Karohemden und Trachtenhosen aus Kunstleder waren zu einer Oktoberfestkopie im Nachbarort unterwegs.
Ich habe mich beim Anblick des imitierten bayerischen Brauchtums unwohl gefühlt. Die Bayern lassen sich ihre Tracht nämlich etwas kosten. Sie tragen sie von klein auf gleichermassen mit Stolz und Selbstverständlichkeit. Sie ist kein Fastnachtskostüm, sondern Ausdruck einer Lebenshaltung.
Eine Freundin, die ein Jahr lang in München, gearbeitet und gelebt hat, hat davon erzählt.
Sie ist dort alleine hingezogen, aber sie hat sich nie einsam gefühlt. «Darf ich ihnen helfen?» hat ihr immer wieder jemand angeboten, wenn sie suchend in der Innenstadt stand. Oft sind Leute ein paar Schritte mitgegangen um sie in die richtige Richtung zu weisen.
Bei Theaterbesuchen oder im Biergarten ist sie nicht alleine geblieben. Fremde Menschen haben sie für kurze Zeit in ihren Kreis aufgenommen. Sie hat mit ihnen geredet, gelacht und sich aufgehoben gefühlt.
Sie ist der Freundlichkeit und Wärme begegnet, die von Herz zu Herz geht, die Freunden und Freundinnen und Fremden, die zu Freundinnen und Freunde werden könnten, gleichermassen zukommt und die man Herzlichkeit nennt, die so typisch bayerisch ist und München zur «Weltstadt mit Herz» macht.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche

Bildquelle: Brigitte Krenz
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