Weg-Wort vom 31. Juli 2006
Wenn wir Gott nicht sehen, trägt er uns (Psalm 22)
Eli, eli, lema sabachtani (Mk 15.34a) hat Jesus am Kreuz geschrieen. Mit
diesen Worten beginnt der 22. Psalm, ein Klagepsalm: Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen? (Ps 22.2a) Und der Psalmbeter fährt weiter:
Warum bist du so fern, dass mein Geschrei dich nicht erreicht? Mein Gott,
ich rufe den ganzen Tag, du gibst keine Antwort. Auch des Nachts schreie
ich, ich komme nicht zur Ruhe. (Ps 22.2bf)
Dieses Vermissen von Gott, seine Ferne, dieses Nichts-Spüren von ihm, diese
Hilflosigkeit, dieses Gefühl nichts wert zu sein, diese Einsamkeit kennen
wir wohl alle auch aus unserem Leben. Wir haben Gott gebraucht, und nichts
war von ihm zu spüren. Wir suchen ihn und finden ihn nicht.
Bitte, Herr, bleib nicht fern, du kannst mich stärken, eil mir zu Hilfe.
Rette mich ... (Ps 22.20.21a) Und trotzdem ist es weitergegangen, geht es
weiter! Wir haben gemeint: Jetzt geht nicht mehr! Aber es ist nicht dabei
geblieben. Trauer wurde überwunden. Schmerzen gingen oder wir haben mit
ihnen leben gelernt. Verluste, mit denen wir uns nicht vorstellen konnten zu
leben, bekamen ein Ort in unserem Lebensrucksack, der wieder neues Leben
zuliess.
Wie ist das möglich? Vielleicht gerade weil wir geklagt und geschrieen
haben, weil wir unserem Verlorensein Ausdruck gegeben haben, weil wir damit
unsere Zeit verbracht haben. Und im Nachhinein merken wir, dass Gott uns
durch diese schweren Zeiten getragen hat. Wir haben ihn vermisst, weil er
mit uns beschäftigt war. Er war uns nicht vor Augen, weil er uns getragen
hat!
Darum stimme ich öffentlich mein Danklied an ... Menschen aus allen
Himmelsrichtungen sollen den Herrn bekennen und sich zu ihm wenden. (Ps
22.26a;28a)
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