Weg-Wort vom 24. Oktober 2006
Gegensätze
Unsere Welt ist auf Gegensätzen aufgebaut, die wesentlich aufeinander
bezogen sind: Tag und Nacht, Geburt und Tod, säen und ernten, Freude und
Trauer, Frau und Mann ...
Gegensätze ziehen sich an, sagt ein Sprichwort. Polare Gegensätze sind
dynamisch. Sie wirken aufeinander ein und stehen miteinander in einer
Wechselwirkung. Erst in der Abhebung vom Anderen bekommt jedes Ding sein
eigenes Profil. Die Nacht wird erst zur Nacht durch den Tag und umgekehrt.
Erst in der Begegnung mit dem Anderen erkennen wir uns selbst. Werden wir,
wer wir eigentlich sind.
Gegensätze erzeugen eine Spannung, die Neues schafft und Entwicklungen
ermöglicht. Sie können fruchtbar und bereichernd sein. Extreme blockieren,
erstarren, ersticken. Bin ich nur in meinen Gefühlen, bin ich ihr hilfloser
Spielball. Bin ich nur im Denken, werde ich kalt und gefühllos. Ich brauche
beides, so wie die Waage nur mit zwei Schalen funktioniert.
Ich muss darum die Gegensätze, die Extreme in mir nicht bekämpfen. Auf ihre
Balance, auf ihre Ausgewogenheit aber kommt es an. Dann kann ich sowohl die
Mitte wie auch beide Extreme leben: die Wut und die Freude, Liebe und Hass,
Angst und Mut, Engagement und Gelassenheit ...
Gegensätze fördern die gesunde Entwicklung des Ganzen, weil sie sich
ergänzen und korrigieren. Denn sie enthalten in sich schon immer auch einen
Kern des andern. Der Keim der Gelassenheit verankert die Leidenschaft in der
Realität des Lebens. Der Keim der Leidenschaft gibt der Gelassenheit erst
ihre innere Ausrichtung.
Liebende leben stets in der Spannung zwischen der Sehnsucht nach Einheit,
nach Aufgehobensein und der Realität des Getrenntseins. Je kraftvoller diese
Spannung, desto lebendiger die Liebe.
Erst in Gott aber sind die Gegensätze, sind Frau und Mann vereint. Denn
beide sind sein Ebenbild: So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, als
Gottes Ebenbild schuf er sie und schuf sie als Mann und als Frau. (Gen
1,27)
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