Weg-Wort vom 20. Oktober 2010
Unten grau, oben blau - oder: Warum der Schäfer jedes Wetter liebt
Ich hatte ich mich auf einen goldenen Oktober eingestellt. Ein Meteorologe
hatte ihn bereits im Sommer prophezeit. Ich glaubte ihm gerne. Schon der
Beiname des Monats spricht für sich. Kein anderer hat ein so magisches,
leuchtend farbiges Licht wie der Oktober. An Wiesen- und Waldrändern
schimmern Netze aus silbernen Spinnfäden. Als Kind bin ich manchmal
unversehens mit dem
Gesicht in ein solch feines Netz geraten. Weil ich oft das Wort
Altweibersommer hörte, malte ich mir aus, dass diese Fäden das
feingesponnene Werk von alten Frauen waren.
Ich mag die Besonderheiten des Spätsommers.
Im ersten Drittel wurde der Monat seinem Namen denn auch mehr als gerecht.
Aber seither wiederholen sich die Wetteransagerinnen in ihrem Wortlaut:
unten grau, oben blau.
Wenn jemand sagt, er fühle sich in letzter Zeit müder als gewöhnlich, so
führt er das meistens auf den grauen, düsteren Himmel zurück. Auch ich
gehöre bisweilen zu diesen jemand. Weil diese Erklärung mein Wohlbefinden
aber mehr behindert als fördert, ist sie auf Dauer hinderlich für mein
Wohlbefinden.
Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt höchstens unpassende Kleider, hab
ich mal jemanden sagen hören. Stimmt eigentlich. Ausserdem braucht es von
allem: Sonne und Regen, Hitze und Kälte, dunkel und hell. Machen wir uns
doch die Einstellung des Schäfers aus der folgenden Geschichte zu eigen.
Dann werden auch wir künftig jedes Wetter mögen:
Ein Wanderer: Wie wird das Wetter heute? Der Schäfer: So, wie ich es gern
habe. Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es liebt?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich nicht immer das bekommen kann,
was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu ,mögen, was ich
bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: das Wetter wird heute so sein, wie ich
es mag.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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