Weg-Wort vom 9. Februar 2009
Eine Gemeinschaft vor Gott
Es ist eine unglaubliche und wegweisende Geschichte, die da im 20. Kapitel
des Matthäusevangeliums steht. Da stellt ein Weinbergbesitzer, er steht für
Gott, an einem Tag immer wieder Menschen für die Traubenlese ein. Am Morgen
früh, am Vormittag, am Mittag, ja noch eine Stunde vor Arbeitsschluss. Und
am Abend erhalten alle ihren Lohn. Und da passiert es: Derjenige, der nur
eine Stunde gearbeitet hat, bekommt den gleichen Lohn wie all jene, die
mehr, ja die sogar den ganzen Tag gearbeitet haben!
In einer arbeitsteiligen Gesellschaft wie der unseren gehört es zu den
Grundbedingungen eines funktionierenden Zusammenlebens, dass jeder einen
gerechten Lohn für seine Arbeit bekommt. Solange die Menschen Jäger und
Sammler waren oder, sesshaft geworden, ihr Einkommen aus der Landwirtschaft
bezogen, musste das Risiko, trotz intensivem Einsatz leer auszugehen, vom
Sippen- oder Stammesverband aufgefangen werden. Spätestens seit der
industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert wissen wir aber, dass
der gerechte Lohn keine Selbstverständlichkeit ist. Arbeitskraft unterliegt,
wie die Ware, die sie produziert, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage: Wenn
das Angebot zu gross ist, sinkt der Preis. Deshalb muss die moderne
Gesellschaft wie früher die Sippe oder der Stamm durch ihre
Institutionen regulierend eingreifen, um die Verelendung Einzelner oder
ganzer Gruppen in der Bevölkerung zu verhindern. Es ist also kein
Widerspruch und darf nicht als solcher erscheinen! , wenn wir diese
Geschichte Jesu im Sinne einer Gemeinschaft vor Gott auslegen und
gleichzeitig nach politischen Konsequenzen für unser Handeln suchen. Dabei
mag uns der Weinbergbesitzer einen hilfreichen Wink geben: Er tastet das
Recht nicht an. Er zahlt den vertraglich vereinbarten Lohn. Er zahlt so
viel, wie eine Familie damals für einen Tag zum Leben brauchte. Aber das
zahlt er allen. Ein einzelner Arbeitgeber kann so in unserer Zeit nicht
handeln. Aber eine Gesellschaft muss dazu fähig sein, dafür zu sorgen, dass
niemand weniger verdient, als er für sein tägliches Brot braucht.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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