[Wegwort] 22.01.2009

Weg-Wort vom 22. Januar 2009 Eine Kraft, die aufrichtet Es gibt im Neuen Testament eine Geschichte, die von der Heilung einer gekrümmten Frau handelt (vgl. Lk 13,10-17). Jesus lehrt an einem Sabbat in der Synagoge. Da entdeckt er eine Frau, die schon 18 Jahre ein Rückenleiden hat, das sie nicht mehr aufrecht gehen lässt. Während bei anderen Heilungen die Kranken selbst oder deren Angehörige oder Freunde auf Jesus zukommen und ihn um Hilfe bitten, ergreift er bei dieser Frau von sich aus die Initiative. Er muss ihr Leiden, aber auch ihre Sehnsucht nach einem heileren Leben gespürt haben. Ihren krummen Rücken hatte diese Frau nicht von Geburt an. Auch wahrscheinlich nicht vom vielen Arbeiten oder infolge eines Unfalls. Sondern im Text heisst es, dass sie einen Geist hatte, der sie krank machte. Ich glaube, wir müssen nicht gleich an Dämonen denken, wenn wir verstehen wollen, welcher Art dieser Geist ist, der Menschen krumm macht. Auch heute gibt es viele Menschen, die gebückt durchs Leben gehen und sich niemals zu ihrer vollen Grösse und Würde aufzurichten wagen. Irgendwie kommen wir alle in diesem Text vor. Wir alle haben unsere Verkrümmungen. Wir alle haben bisweilen Mühe, klar und offen zu unseren Überzeugungen zu stehen. Immer wieder möchten wir es allen Menschen recht machen, haben Angst vor Verantwortung, sagen ja, wo wir nein sagen möchten. Wir bücken uns vor Menschen, die wir für stärker und besser halten. Jesus begegnet dieser Frau in einem anderen Geist, in einem Geist, der die Gebeugten und Gekrümmten aufrichtet. Er legt der Frau die Hände auf. Und zwar nicht so, als gehörte sie ihm, sondern so, dass sie merkt: Da will jemand meine Freiheit. Da bin ich gemeint. Jesus begegnet der Frau im Geist der Liebe. Die Frau bekommt einen Raum, in dem sie sich aufrichten und Gott loben kann. Sie wird fähig, sich selbst in ihrer Würde wiederzuerkennen. Ist für uns der Glaube an Gott ein Ort, wo wir freie, aufrechte Menschen werden? Kennen wir die Kraft, die Gekrümmtes in uns aufrichtet, die uns von unseren Lebensbehinderungen befreit? © Bahnhofkirche Hauptbahnhof Zürich www.bahnhofkirche.ch Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche