Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 10. Juli 2019
Der sechste Sinn
Nochmals eine Katzengeschichte, diesmal selbst erlebt. Für mich ist diese Geschichte ein Hinweis darauf, dass Tiere Sinne haben, die uns Menschen fehlen. Vielleicht sind diese dem Menschen bei der Vertreibung aus dem Paradies abhandengekommen.
Die Geschichte beginnt ganz gewöhnlich. Ich hatte als Pfarrer eine Frau zu beerdigen. Die Verstorbene kannte ich nicht persönlich, ihren Sohn schon. Er wohnte bei uns in der Nachbarschaft. Bei ihm zu Hause fand auch das Trauergespräch statt. Seine Mutter war im Alter dement. Erste Anzeichen hatte es schon mehrere Jahre vor ihrem Tod gegeben. Der Sohn schilderte, wie seine Mutter immer mehr an Selbständigkeit verlor, wie sie nach und nach pflegebedürftiger wurde und wie sie für ihn auch als Mensch immer mehr in die Ferne rückte. In den letzten Monaten ihres Lebens war kaum noch eine Kommunikation möglich. Er besuchte trotzdem regelmäßig seine Mutter.
Im Heim, wo sie zuletzt lebte, gab es aber eine Katze, die sich gerne auf den Schoß der völlig dementen Frau setzte. Auch wenn die Frau auf Menschen nicht mehr reagierte, mit der Katze nahm sie Kontakt auf und streichelte sie. Der Sohn erzählte mir, dass ihm seine Mutter immer dann lebendig erschien, wenn die Katze bei ihr war.
Die Beerdigung fand nur auf dem Friedhof statt. Höchstens ein Dutzend Leute standen im Halbkreis am Grab. Als ich anfing zu reden, kam eine Katze herangeschlichen und ließ sich direkt beim Grab nieder. Der Friedhofsgärtner kam sofort gesprungen und wollte das Tier verscheuchen. Aber ich hielt ihn davon ab und erklärte ihm, dass es nicht hätte besser passen können. Die Katze blieb während der ganzen Beisetzung und verließ das Grab erst, nachdem wir gegangen waren.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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