Weg-Wort vom 15. Januar 2013
Gott sehen
Wie kann ein Mensch noch von Gott sprechen in dieser Welt voller Flammen, voller Tränen
und Not, wie kann er Gott malen? Für Marc Chagall steht fest, dass sich ihm nur die
Rückseite Gottes zeigt. Das sind die Erde und der Himmel und das eigene Herz. Aber auch
die Not und die weinenden Augen. Der Unermessliche ist Glück und Not, ist Tod und Leben.
Chagall bittet, dass Gottes Licht durch seine Bilder bricht.
Leo Tolstoi erzählt ein Märchen vom "König, der Gott sehen wollte." Kurz vor dem
Ende seines Lebens spricht der König: "Seht, nun habe ich in meinem Leben alles, was
nur ein Mensch erleben und mit den Sinnen aufnehmen kann, erfahren, gehört und gesehen.
Nur eines habe ich nicht gesehen in meinem ganzen Leben: Gott habe ich nicht gesehen. Ihn
wünsche ich noch zu sehen." Doch die Weisen, die er herbeigerufen hat, sind ratlos,
sie wissen seinen Wunsch nicht zu erfüllen. Erst einem Hirten vom Feld gelingt es, den
Wunsch des Königs zu erfüllen. Er fordert den König auf, in die Sonne zu blicken. Als der
König, vom Glanz der Sonne geblendet, die Augen schliesst und den Hirten voller Ärger
fragt: "Willst du, dass ich erblinde?", antwortet der: "Aber König, das ist
doch nur ein Ding der Schöpfung, ein schwacher Abglanz der Grösse Gottes, ein kleines
Fünkchen seines flammenden Feuers. Wie willst du mit deinen schwachen, tränenden Augen
Gott sehen? Suche ihn mit anderen Augen." Danach fragte der König den Hirten.
"Was macht Gott?" Da bat der Hirte den König, mit ihm vorübergehend die Kleider
und die Plätze zu tauschen. Als dann der Hirte im Königsgewand auf dem Thron sitzt und der
König im ärmlichen Hirtenmantel unter ihm steht, sagt der Hirte zum König: "Siehst
du, das macht Gott! Den einen erhebt er auf den Thron, und den anderen lässt er
heruntersteigen." Nach einigem Nachdenken sagt der König schliesslich: "Jetzt
sehe ich Gott."
Und das erfährt Mose mit Gott: Es ist ein Raum bei Gott. Gottes Nähe im Vorübergehen. Ein
Erkennen im Hinterherschauen. Und: Nach Weihnachten sehen wir: Er tut noch mehr! Gott
selbst tauscht die Plätze, damit wir ihn anzuschauen vermögen, damit wir sehen, wie er
ist.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
www.offene-tuer.net
Blog:
http://romanangst.wordpress.com/
Das Weg-Wort als iPhone-App:
http://itunes.apple.com/de/app/bahnhofkirche/id434629936?mt=1