Im Tram sitzt mir eine junge Frau gegenüber. Sie hat Kopfhörer auf, ihr Smartphone hat sie in der Hand, sie spricht deutlich hörbar in das kleine Mikrofon vor ihrem Mund. Es geht um ihre Beziehung, die sie lautstark bequatscht. Während des Gesprächs schaut sie uns Umsitzende herausfordernd an.
Ich komme wir vor wie in einem Theater. Ich erlebe eine moderne Selbstinszenierung, die die junge Frau zum Besten gibt. Was in den privaten, intimsten Bereich gehört, ein Gespräch über ihre Freundschaft und ihre Beziehung, zieht sie als Show minutenlang vor allen Reisenden ab. Es geht ihr weder um das Thema noch um die Person, mit der sie redet. Sie stellt sich, wie mit einem Selfie selbst dar und macht mich unfreiwillig zum Publikum.
Jesus sagt in der Bergpredigt: Wenn ihr betet, sollt ihr es nicht machen wie die Heuchler: Die stehen gern in den Synagogen und an den Strassenecken und beten, um sich den Leuten zu zeigen. Wenn du aber betest, geh in deine Kammer, schliess die Tür und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Sich selber in Szene setzen durch Telefonieren heute. Beten damals, um sich den Leuten zu zeigen. Für mich ist die Anweisung von Jesus über das Beten aber mehr als nur eine Benimmregel, die für Rücksicht gegenüber Unbeteiligten plädiert. Beten ist noch viel intimer als Telefonieren. Es geht nicht darum, was ich sage, sondern darum, was das Gegenüber am anderen Ende der Leitung mir zu sagen hat. Dazu braucht es die Stille und den Rückzug. Ich möchte es auf keinen Fall vor anderen Leuten ausbreiten.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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