Weg-Wort vom 20. April 2011
Wunden und Schmerz
Wenn ich einen grossen Baum betrachte, denke ich meistens: So möchte ich
sein. Fest verwurzelt und geerdet, dem Himmel entgegen wachsen, mit offenen
Armen alles erfassen.
Steht doch der Baum als Symbol für Fülle und für Ganzheit. Er ist Inbegriff
des Lebens.
Der Kreuzesbaum von Jesus holt mich jedoch aus meiner romantisch
träumerischen Vorstellung und stellt mich rasch auf den Boden der Realität.
Im Baum Symbol können, ja müssen wir nämlich die ganze Botschaft Jesu
Christi und unsere ganze menschliche Realität erfahren.
Ich habe zuhause zwei kleine Kreuze. Das eine ist aus verschiedenen
Holzarten gefertigt, im Schnittpunkt hat es drei Blätter. Das andere,
bronzene stellt einen Lebensbaum dar. Beim Anschauen spüre ich immer wieder,
wie sich ein zweites Bild darüber schiebt, nämlich das eines durchbohrten,
geschundenen Körpers.
Sind Fruchtbarkeit und Leben nur aus Schmerz zu haben? Jesus sagte: Wenn
das Weizenkorn stirbt, bringt es viele Frucht. (Joh 12,24)
Bleibt das für uns ein unverständliches Geheimnis, oder erfahren wir nicht
immer wieder am eigenen Leib, wie wahr dieses bildhafte Jesuswort ist?
Wenn ich jemand auf schmerzhaft Erlebtes anspreche, reagiert dieser Mensch
vielleicht heftig, denn ich habe einen wunden Punkt getroffen. Es kostet
Überwindung, die Verletzung genau anzuschauen.
Das aber braucht Zeit. Das habe ich selber auch schon erfahren. Ver-
letzungen sitzen oft tief, sie brennen sich in die Seele ein. Ich kann nicht
einfach mit gutem Willen Menschen, die mir Leid zugefügt haben, verzeihen,
solange mein Herz noch von Groll besetzt ist. Gelingt es mir aber, mich
davon zu befreien, kann die Wunde heilen. Es werden zwar Narben
zurückbleiben, aber sie tun nicht mehr weh.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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