Weg-Wort vom 12. Mai 2006
Gott hält trotz allem zu uns (Psalm 4)
Ich schäme mich so. Nein! Ich kann nicht mit meinen Angehörigen sprechen.
Und ich weiss: Wenn ich das nicht tue, dann verändert sich nichts. Aber es
geht einfach nicht. Nicht einmal ich kann mich mehr aushalten, wie sollen
andere mich aushalten!
Diese Worte blockten alles ab, was ich für den jungen Mann vorbereitet und
in die Wege geleitet hatte. Einen zeitlich befristeten Arbeitsplatz für den
ersten Einstieg wieder in die Arbeitswelt. Ein Zimmer mit Komfort und einen
Menschen, der ihn bei den Gängen zu den Amtsstellen begleiten wollte. Ich
schäme mich so. Nein! Es geht nicht!
In mir, dem Seelsorger, brodelt es. Aber nur jetzt nicht explodieren! Ich
will nicht, dass der junge Mann sich auch noch mir gegenüber schämt. Es ist
seine Entscheidung, die Angebote nicht anzunehmen. Er ist einfach noch nicht
so weit.
Ich erinnere mich an den 4. Psalm. Da heisst es: Der Herr hält trotz allem
zu uns. Er hört auf unser Gebet. ... Ganz friedlich können wir uns hinlegen
und einschlafen. Er gibt uns Geborgenheit! (Ps 4.4 + 9)
Gott steht zu uns, ob wir uns nun schämen oder nicht. Er hat Geduld mit uns.
Er gibt uns nie auf. Er schenkt uns seine Liebe und er schenkt uns die
Kraft, diese Liebe anzunehmen. Mit ihm können wir unsere Scham überwinden,
Wege gehen, die wir uns lange nicht zugetraut haben. Er ist mit uns, was wir
auch fühlen, was wir auch tun. Aus seiner Hand fallen wir nie.
Ich vertraue darauf und hoffe, dass der junge Mann wieder kommt und die
Hilfe, die ihm angeboten wird, annehmen kann.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche