Weg-Wort vom 14. April 2008
Ein sonderbares Lied
Wenn wir die Jesus-Geschichte unter dem Aspekt anschauen, welche
Gefühlsäusserungen Jesus gemacht hat, so stossen wir auf viele: Er klagt, er
weint, er wird zornig, er erbarmt sich... Es gibt auch Stellen, die Jesu
Freude zum Inhalt haben. Einmal heisst es, dass Jesus singt und in Jubel
ausbricht: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du
all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber geoffenbart
hast (Mt 11,25).
Jesus singt ein sonderbares Lied. Er jubelt, weil Kluge und Weise nicht
begreifen, Menschen aber, denen es niemand zutraut, den Durchblick bekommen.
Und zudem stimmt er dieses Lied an, nachdem er an verschiedenen Orten
Misserfolg hatte und sein Wirken allgemein in Krise geriet.
Jesus vermag seinen Vater trotz Misserfolg zu preisen. Ein solches Lied
setzt eine ganz besondere Gotteserfahrung voraus. Jesus muss Gott auch in
seinen Krisen, in seinem Misserfolg als Vater erfahren haben. Das hat
angefangen während seines Wirkens und das hat geendet am Kreuz auf
Golgotha. Dass Gott mitten im Misserfolg und Scheitern, in Not und Tod
anwesend ist, das ist Klugen und Weisen verborgen.
Wer einen Gott entdeckt, der ihm in allen Lebenssituationen nahe ist, lernt
das Singen im wörtlichen oder doch wenigstens im übertragenen Sinn. Er lebt
aus einer grundsätzlich positiven und dankbaren Lebenseinstellung heraus.
Und vielleicht gelingt es ihm auch, Gott in seine Angst und Not
hineinzuziehen und dabei innerlich ruhig zu werden. Er erfährt die Erfüllung
der Verheissung: Ihr werdet Ruhe finden für eure Seele, für euer Leben.
Können wir in den Gesang einstimmen, der da angestimmt wird? Ist es uns
überhaupt ums Singen, wenn wir auf all die Not in der Welt, auch auf unsere
persönliche Schwierigkeiten blicken? Fällt es uns nicht leichter, uns als
die Bedrückten und Bedrängten zu sehen, die Jesus einlädt, zu ihm zu kommen?
Vielleicht möchte uns der Text auch ermuntern, die beiden Dinge miteinander
sehen zu lernen: Bedrängtsein und doch genügend Luft zum Singen, in Not sein
und doch Kraft zum Leben zu haben.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche