Weg-Wort vom 21. August 2006
Unzerstörbares Behaustsein
Wenn wir Texte über die frühe Christenheit lesen, fällt uns das starke
Selbstbewusstsein der jungen Christen und Christinnen auf. Obwohl sie eine
verschwindende Minderheit waren in der Gesellschaft, obwohl sie Verfolgungen
erlebten, obwohl die gesellschaftliche Situation ihnen Angst einflösste,
werden sie als zuversichtlich und hoffnungsvoll geschildert. Worauf stützten
sich diese Kraft und dieses Selbstbewusstsein?
Die Gemeinden der jungen Christenheit fühlten sich nicht alleingelassen,
auch als Jesus nicht mehr leibhaftig unter ihnen weilte. Sie wussten: Jesus
hatte jedem Einzelnen einen Beistand, nämlich seinen Geist geschickt. Und
dieser eröffnete ihnen einen Lebenswohnraum, in dem sie sich nicht nur
aushalten konnten, sondern in dem sie zugleich geborgen waren, weil Gott
diesen Lebensraum mitbewohnte.
Im Johannesevangelium wird dem Glaubenden eine recht intime Verheissung
gemacht. Es heisst da: Wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen (Joh
14,23). Der Gottesglaube wird hier als ein Ort angeboten, der ein
unzerstörbares Behaustsein garantiert, der Obdachlosigkeit im übertragenen
Sinn erspart. Gott will mit und bei uns wohnen und uns befrieden. Er sucht
Wohngemeinschaft mit jedem Einzelnen er zieht hinter mir her. Gottes Umzug
zu mir ist immer im Gang.
Diese Verheissung, dieses Angebot ist - damals wie auch heute - in eine Welt
hinein gesagt, in der viel Unbehaustheit erlebt wird. Die Zahl der Menschen,
die körperlich obdachlos sind, die kein Dach über dem Kopf haben, nimmt vor
allen in Grossstädten zu. Aber noch grösser ist die Zahl der Menschen, die
wohl ein Dach über dem Kopf, aber keines über der Seele haben, die seelisch
obdachlos, unbehaust sind.
Wenn uns geschenkt ist, dass uns der Glaube Heimat und Behaustsein ist,
werden wir auch fähig, andern Heimat und Wohnung zu ermöglichen. Vielleicht
können wir ein Wohnort werden, wo leiblich und seelisch Obdachlose ein Haus,
ein Dach über ihrem Kopf und ihrer Seele finden.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche