Weg-Wort vom 17. März 2006
Heilig
Im 1. Petrusbrief heisst es: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.
Das ist eine ungewöhnliche Aufforderung. Die wenigsten Christen würden sich
selbst als Heilige bezeichnen. Christen sind es doch eher gewöhnt, sich als
Sünder zu verstehen. Das ist ein sehr negatives Menschenbild, in dem das
eigene Können, die eigene Person und ihr Wollen und Tun gering geschätzt
werden. Die Aufforderung: Ihr sollt heilig sein, denn ich (Gott) bin heilig
spricht dagegen den göttlichen Kern, das Bild Gottes im Menschen an. Hier
werden der unschätzbare Wert und die Freiheit der Person betont. Die Person
hat die Macht, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu verändern.
Heilig zu sein, heisst nach altem Verständnis nicht, moralisch einwandfrei
zu leben. Es heisst nicht, ein besserer Mensch zu sein als andere. Wer
meint, das sein zu müssen, wird leicht scheinheilig. Heilig heisst
zunächst einmal: Tabu, unantastbar, unverletzlich, weil das Leben Gottes
Eigentum ist.
Und trotzdem ist es nicht egal, wie jemand lebt. Die Freiheit, das eigene
Leben in die Hand zu nehmen, ist da. Und wenn wir diese Freiheit erkennen
und annehmen, dann geht vieles, was vorher überhaupt nicht möglich schien.
Das heisst nicht, dass alles geht. Dass ein Mensch alles machen und werden
kann, was er will. Es gibt auch Grenzen, die da sind, Dinge, die wir nicht
verwirklichen können. Trotzdem hat jeder Mensch die Freiheit und die Kraft,
sein Leben zu gestalten und etwas Gutes daraus zu machen.
Diese Freiheit führt das Wort aus dem 1. Petrusbrief auf Christus zurück,
auf die Liebe Christi und die Gnade Gottes. Das Heilig sein, wird nicht
verdient, weder durch Leiden noch durch gute Werke. Es wird auch nicht nur
Einzelnen verliehen, die dann heilig gesprochen werden. Nein, heilig ist
vielmehr der Kern jedes Menschen, sein Leben, seine Würde und seine
Freiheit. Das ist es, was Christus in uns sieht, was Christus an uns
wahrnimmt und liebt. Und dass auch wir das sehen und lieben und
verwirklichen können, dazu verhelfe uns Gottes Geist.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche