Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!

Weg-Wort vom 5. Juli 2019

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

«Uns geht es einfach zu gut!» Als Pfarrer habe ich diesen Satz mehrfach gehört, und zwar meistens dann, wenn es um den Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens im westlichen Europa ging.
Menschen, die so reden, haben vielleicht schwere Zeiten durchgemacht. Diese Erfahrung hat sie geprägt. Für sie ist der heutige Wohlstand keine Selbstverständlichkeit. Sie sind dankbar, dass es ihnen gut geht.

«Not lehrt beten.» So sagt der Volksmund. Der Psychiater Gereon Heuft wollte wissen, ob das wirklich stimmt. Er ist Gründer und Leiter der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum in Münster. Im Alter von 50 Jahren hat er noch begonnen Theologie zu studieren und sich in seiner Doktorarbeit der Frage gewidmet, ob körperliche oder seelische Not den Glauben eines Menschen beeinflusst. Das Resultat seiner Studie hat mich auf den ersten Blick überrascht. Kranke Menschen beten nicht häufiger als gesunde, obwohl andere Studien nachweisen, dass Beten, Meditation oder allgemein Gottvertrauen den Heilungsprozess positiv beeinflussen kann.
Auf den zweiten Blick scheint mir das Resultat aber plausibel: Glaube lässt sich nicht zum Zweck der Gesundheit vereinnahmen. Das bedeutet nicht, dass der Glaube in Zeiten der Not nicht eine Hilfe sein kann. Aber Menschen, die diese Kraftquelle benutzen, haben sich in besseren Zeiten schon darin geübt, das Gute nicht als selbstverständlich oder als Resultat der eigenen Leistung anzusehen.

Für diese Haltung steht die Figur des Hiob im Alten Testament. Er vertraut auf Gott sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten, indem er sagt:
«Das Gute nehmen wir an von Gott, und das Böse sollten wir nicht annehmen?» (Hiob 2, 10)

Mit freundlichen Grüssen

Ihre Bahnhofkirche


Hiob, gemalt von Gerard Seghers (1591-1651)

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