Weg-Wort vom 9. Oktober 2007
Weltethos
Schön, dass es diese Kapelle im Bahnhof gibt, dass ich hier mit Menschen
anderer Religionen gemeinsam beten darf. Ich kann mich einfach nicht an die
täglichen Meldungen über Gewalt und Krieg gewöhnen. Da ist dieser Ort ein
Lichtblick für mich, ein kleines Hoffnungszeichen, dass Friede und gelebte
Gemeinsamkeit unter den Religionen und Kulturen und vielleicht in der ganzen
Welt möglich sind.
Ähnlich wie diese junge Mutter von drei kleinen Kindern berichten auch
andere Besucherinnen und Besucher der Bahnhofkirche. Dass hier Menschen
unterschiedlicher Religionen und Kulturen wie selbstverständlich gemeinsam
beten, so ganz unspektakulär und alltäglich, fast den ganzen Tag über,
mitten in einer geschäftigen, pulsierenden Lebenswelt so vieler Menschen
das ist tatsächlich ein kleines, lebendiges Zeichen der Hoffnung.
Es ist eine ureigene und vordringliche Aufgabe der Religionen, für den
Frieden in der Welt und die Bewahrung der Schöpfung einzustehen. So hat erst
kürzlich im rumänischen Sibiu die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung
in ihrer Schlusserklärung festgehalten: Als Christen teilen wir die
Verantwortung, Europa zu einem Kontinent des Friedens, der Solidarität, der
Partizipation und der Nachhaltigkeit zu formen.
Mit dem Projekt Weltethos* hat der Schweizer Theologe Hans Küng zu einer
Vision der Hoffnung, zu einem globalen, die Religionen der Welt verbindenden
Ethos eingeladen. Trotz der dunklen Seiten der Religionen, die auch heute
noch weltweit oft einen verhängnisvollen Einfluss ausüben, setzt er auf ihre
hellen Seiten, auf die gemeinsamen, ihnen innewohnenden ethischen Kräfte
als Sinnstifter und Vermittler persönlicher Orientierung sowie als Förderer
des Friedens und der Versöhnung in der Welt. Ihnen allen gemeinsam sind
Grundwerte wie:
die unveräusserliche und unantastbare Würde eines jeden Menschen; die
Ehrfurcht vor dem Leben; eine Kultur der Gewaltlosigkeit; gerecht und fair
handeln; die soziale Verantwortung des Eigentums; wahrhaftig reden und
handeln; einander achten und lieben.
Kirchen und Religionen allerdings können nicht lieben nur die Menschen.
Sie können aber durch klare Wertsetzungen und Stellungnahmen den Raum
schaffen, in dem die Menschen sich unterstützt und getragen fühlen, einander
zu achten und diese Werte in ihrem Alltag zu leben. Das ethische Denken und
Handeln vieler Einzelner an unzähligen Orten in der ganzen Welt aber ist der
Beginn des Friedens.
*
www.weltethos.org
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
www.bahnhofkirche.ch