Weg-Wort vom 29. August 2012
Wenn sich die Kirche mit den Mächtigen verbrüdert,
hält sie schon die Nägel zur Kreuzigung Christi in den Händen.
Es ist sehr aufschlussreich, dass es Menschen gibt, die partout belastende
Geschichten hinter sich lassen und nur nach vorn schauen wollen, in keinem
Falle zurück. Sie merken nicht, dass ihre Geschichte sich wiederholt und sie
in immer neuen Varianten einholt.
Dass sich nach Jahren der Missachtung die Orthodoxe Kirche Russlands die
goldenen Fesseln des neuen Regimes leicht gefallen lässt, das ist
menschlich, allzu menschlich.
Aber ich muss nicht nach Russland schauen, um Menschen zu erleben, die sich
nur allzu gern auf die Seite der Mächtigen schlagen. Schauen Sie einmal
genauer hin! Wie steht es mit den Machverhältnissen in Ihrer Umgebung? Im
Haus, in dem Sie wohnen, ertragen die Nachbarn berechtigte Kritik oder gilt
auch hier einfach die Macht des Stärkeren? An Ihrem Arbeitsplatz - sind da
neben positiven Rückmeldungen auch kritische Töne erlaubt, oder schweigt man
besser? In der Familie!: Werden Sie gehört, wenn Sie zum hundertsten Mal
sagen, dass es so nicht weitergehen kann?
Gehört werden, wahrgenommen werden, das ist das grosse Plus, das mit Jesus
auf ganz besondere Weise in die Welt kam. Er nahm wahr: Die draussen vor der
Tür, die Machtlosen, die Überhörten, die ohne Einfluss, die im ganz normalen
Alltag Unterdrückten, die Abgelehnten und Ausgegrenzten.
Es ist ja so einfach, nicht wahr zu nehmen, nicht zu sehen. Menschen an
kleinen wie grossen Machthebeln dieser Welt sind immer wieder erstaunt, wie
sehr andere unter ihrer Führung leiden können. Sie meinen es ja nur gut,
wenn sie andere zertrampeln und es gar nicht merken. Es kann nicht sein, was
nicht sein darf. Und dann wird nach vorn geschaut, dass man ja nichts sieht
von dem, was getan wurde, auch keine Fehler. So lernt man nie - Mächtige,
und sei ihre Macht noch so klein, haben das ja auch nicht nötig - aus den
eigenen Fehlern zu lernen.
Wenn ich an die Zeit Jesu von Nazareth denke, dann ist er sicher nicht für
sie gekommen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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