Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich
Weg-Wort vom 27. Februar 2014
Max
"Komm jetzt", ruft mir meine Tochter zu, "nicht dass du noch den Zug
verpasst." "Ich komm ja schon", ruf ich zurück, ziehe mir die Schuhe an und
freue mich, dass sie mich zum Bahnhof fährt. Sie macht das gern. Wir
verabschieden uns und ich winke ihr noch zu, als sie mit ihrem kleinen
Flitzer abfährt. Nur noch über die Strasse, das Billet abstempeln und in
aller Ruhe auf den Zug warten. Doch, wo ist mein Portemonnaie? Nicht in der
Jacke, nicht in der Hosentasche; es liegt dort, wo es immer liegt, wenn ich
zuhause bin. Ich habe mich grün und blau geärgert. Kein Geld, kein gültiger
Fahrausweis, nicht einmal eine SBB-App, um übers Handy ein Ticket zu kaufen.
Meine Tochter bringt mir meinen Geldbeutel mit allem drin, aber der Zug ist
weg. Soll sie mich zur nächsten Station fahren, ja eigentlich schon. Sie
macht auch das für mich - sie hat gerade Zeit.
Doch dann frage ich mich, ob es sich lohnt zu hetzen und zu versuchen den
abgemachten Termin doch noch einzuhalten. Ich entscheide mich um. Ich nehm
das nächste Postauto, den nächsten Zug und muss halt eingestehen, was mir
passiert ist. Handy sei Dank, meine Terminpartner kann ich informieren.
So holt mich meine Tochter wieder vom Bahnhof ab und bringt mich nach Hause.
Es geht nicht lang, da breche ich wieder auf, diesmal ausgerüstet mit allem,
auch mit Billet und Portemonnaie. Das Postauto bringt mich zum Bahnhof, das
Billet ist abgestempelt. Wie gewohnt steige ich in den Zug und setze mich an
den gewohnten Platz. Ein Aufschrei: "Das isch doch de Pfarrer!" - Max kommt
auf mich zu, ein Strahlen in den Augen. Vor anderthalb Jahren haben wir in
der Rehaklinik am selben Tisch gesessen und uns bestens verstanden und uns
so die Zeit der Rekonvaleszenz erholsam gestaltet. Seither haben wir uns
nicht mehr getroffen. Und jetzt sehen wir uns in einem Zug, den ich unter
normalen Umständen nie genommen hätte. Es war einfach schön. Eine
Viertelstunde Freude - unverhofft - unerwartet und der Ärger war wie
weggewischt.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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