Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich
Weg-Wort vom 13. Mai 2021
Flügge
Manche Vogelarten gehen mit ihrem Nachwuchs gar nicht zimperlich um. Haben die Jungvögel eine gewisse Grösse erreicht, dann werden sie aus dem Nest geworfen, selbst wenn sie noch nicht richtig fliegen können. Auf einem Ast sitzend werden sie eine Weile
von den Eltern gefüttert und verteidigt. Wenn auch das aufhört, sind die jungen Vögel herausgefordert, den eigenen Kräften zu vertrauen und flügge zu werden. Würden die Vogeleltern das Küken im Nest immer weiter füttern, würde es vielleicht niemals fliegen
lernen.
Am Fest von Auffahrt feiern wir das Flüggewerden der jungen Gemeinde der Christinnen und Christen. Einige Jahre waren sie mit Jesus herumgezogen, lernten durch seine Taten und Worte und konnten sich bei Unsicherheiten an ihn wenden. Dann kam der Schock
von Karfreitag: Ihr Meister wurde verurteilt und umgebracht. Die Botschaft vom leeren Grab schenkte ihnen neue Hoffnung und Glauben, dass Jesus lebt. Allerdings hatten sie die Tatsache zu akzeptieren, dass Jesus nicht mehr in der bisherigen Weise bei ihnen
sein würde.
«Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.» So lesen wir Jesus im Johannesevangelium (16,7). Mit dem Beistand verweist Jesus auf den Heiligen
Geist, das Wirken Gottes in uns als Stimme der Intuition und innere Gewissheit. Das Fest von Auffahrt weist darauf hin, dem Verlust zu vertrauen, das Nest der Sicherheit loszulassen, und eigene Schritte für die Anliegen unseres Herzens zu wagen. Gerade wenn
es uns schwerfällt, oder wir vom Schicksal durchgeschüttelt werden, dann sind wir womöglich schon dabei, flügge zu werden für etwas ganz Neues.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von pieonane auf Pixabay
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
Jürgen Rotner
Seelsorger in der
Bahnhofkirche Zürich