Das Weg-Wort Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 6. Mai 2020
Nahleben-Erfahrung
Wenn sie ihre Mutter jeweils im Garten zwischen all den blühenden Blumen
habe arbeiten sehen, habe sie gedacht: Was braucht es noch ein Paradies im
Jenseits für sie? Was könnte erfüllender sein als dies? So hat mir vor
Jahren die Tochter einer Verstorbenen beim Trauergespräch erzählt. Die
Mutter habe in solchen Momenten absolut glücklich gewirkt! Und auch sonst
habe sie es gut gehabt im Leben.
Von daher sei die Frage, was nun im Tod sei, für sie gar nicht von
Bedeutung.
Damit hat diese Tochter treffend ausgedrückt, worum es im
jüdisch-christlichen Glauben vor allem geht: Um eine Spiritualität, die das
Leben im Diesseits verdichtet und intensiviert!
Um Nahleben-Erfahrung weit eher, als um Nahtod-Erlebnisse.
Der Psalm 23 «Der Herr ist mein Hirte» - ist wie ein Bilderbuch für solche
Erfahrungen. In kompakter Folge wird Gott da als ein Lebensverdichter
gezeichnet:
Er weidet mich auf grünen Auen oder Zur Ruhe am Wasser führt er mich
oder Du salbst mein Haupt mit Öl. Besonders angetan hat es mir der Satz
Du schenkst mir den Becher voll ein.
Der Mensch, der da spricht, erlebt sich reich beschenkt. Und dies, obwohl er
im Psalm durchaus auch von dunklen Tälern mit Gefahren schreibt; oder von
Feinden und Angst. Das Negative wird nicht ausgeblendet. Aber es geht hier
sehr grundsätzlich um die Frage, wie man sich zum Leben stellt. Es geht um
eine Haltung: Staunende Dankbarkeit, neugierige Offenheit, die sich auf das
Leben einlässt im Vertrauen auf eine grosse Geborgenheit in und mit allem
Dunklen. Um beim Beispiel der verstorbenen Frau zu bleiben: Es geht darum,
im Garten zu arbeiten, nicht als lästige Pflicht, sondern als intensives
Da-Sein.
Solch eine Haltung kann nicht gemacht werden. Aber man kann seine Sehnsucht
danach ernst nehmen und sich neugierig und offen auf den Weg machen
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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