Weg-Wort vom 30. November 2007
Erwartungen
Wir haben Erwartungen und Wünsche an das Leben, an uns selber, an unsere
Mitmenschen. Wir erwarten vielleicht nicht gerade Reichtum, aber doch
zumindest einen gewissen Wohlstand. Wir träumen manchmal insgeheim von mehr
Einfluss und Macht. Wir hoffen auf Fairness und Frieden in unserer Welt. Wir
wünschen uns mehr Anerkennung und sehnen uns zutiefst nach Liebe und
Geborgenheit.
Erwartungen vermögen uns zu beflügeln. Sie erhalten uns lebendig. Sie lassen
uns nicht einfach im Bisherigen verharren. Sie fordern uns heraus, neugierig
zu sein, uns auf den Weg zu machen, Unbekanntes zu entdecken und Neues zu
wagen.
Erwartungen können uns aber auch einengen, ja blockieren. Manchmal sind wir
mit unseren Wünschen wie festgefahren. Fixe Vorstellungen, wie etwas oder
jemand sein soll, hindern uns daran, die Wirklichkeit wahrzunehmen wie sie
ist. Wir sind dann nicht mehr offen für das, was uns das Leben gerade jetzt
bereithält. Wir vergeben uns unzähliger Chancen und Möglichkeiten.
Manche Erwartungen sind uns nicht bewusst. Herr K. zum Beispiel: Er spricht
stets von Teamarbeit, unterdrückt dabei seine geheimen Machtansprüche und
lebt sie unbewusst aus, was dann seine Umgebung zu spüren bekommt.
Unbewusste Erwartungen bestimmen unseren Alltag und steuern unser Leben
mehr, als uns lieb ist.
Mit Erwartungen, mit Wünschen zu leben, ist wie eine Gratwanderung. Es ist
die Kunst, etwas wirklich, mit ganzem Herzen, zu wollen und es
gleichzeitig loszulassen. Es ist die Kunst, innerlich nicht nur bei der
erwarteten Zukunft zu sein, sondern sie immer wieder loszulassen und ganz in
der Gegenwart zu sein. Es ist die Kunst, sich trotz der Erwartung dem
Augenblick zu öffnen. Trotz der Wünsche offen zu sein für das, was das Hier
und Jetzt mir bringt und von mir fordert.
Der Advent ist die Zeit der Erwartungen, des Wartens auf den, der da kommen
soll (Mt 11,3). Er ist eine Gelegenheit, meine eigenen Erwartungen und
Wünsche an das Leben, an mich selbst, an andere und vielleicht auch an Gott
wieder einmal zu überprüfen: Mich mit ihnen auseinander zu setzen und zu
fragen, wie sehr sie mein Leben beflügeln oder behindern. Mich möglichen
unbewussten Erwartungen zu öffnen. Und vielleicht auch neue Prioritäten zu
setzen.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und mir eine erwartungsvolle Adventszeit!
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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