Weg-Wort vom 23. Februar 2011
Kein Sommer in Sicht
Gestern war wieder so ein kalter, unfreundlicher, wolkenverhangener
Wintertag. Und heute sieht es nicht viel besser aus. Die Bäume strecken ihre
kahlen Zweige in den Nebel. Ein Sommer ist noch lange nicht in Sicht. Solche
trostlosen Tage und Zeiten gibt es nicht nur in der Natur, sondern auch in
unserem Leben.
Diese Stimmung und Erfahrung kommt in einem Gedicht des bekannten
Schauspielers Ernst Ginsberg zum Ausdruck, der 1964 in Zürich gestorben ist.
Auf der Höhe seines schauspielerischen Erfolges wurde Ginsberg von einer
heimtückischen Krankheit befallen, die seinen Körper mehr und mehr lähmte.
Zuerst ging er an einem Stock, dann musste er den Stock mit zwei Krücken
vertauschen, dann die Krücken für immer mit dem Rollstuhl. Schliesslich
verlor er das Kostbarste, das ein Schauspieler besitzt: die Sprache. Im
Verlauf dieses fortschreitenden körperlichen Zerfalls wurde Ginsberg zum
Dichter zum Dichter nicht der Resignation und Verzweiflung, sondern der
christlichen Hoffnung. Aus dieser letzten Zeit seines Lebens stammt das
folgende Gedicht Augenschein:
Zur Nacht hat ein Sturm alle Bäume entlaubt,
sieh sie an, die knöchernen Besen.
Ein Narr, wer bei diesem Anblick glaubt,
es wäre je Sommer gewesen.
Und ein grösserer Narr, wer träumt und sinnt,
es könnt je wieder Sommer werden
und gerade diese gläubige Narrheit, Kind,
ist die sicherste Wahrheit auf Erden.
So weckt die Erfahrung der winterlichen Natur in uns die Hoffnung auf einen
neuen Sommer. Wenn wir genau hinschauen, können wir an den kahlen Zweigen
bereits zarte Knospen erkennen. Auch in unserem Leben.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi, Beat Schlauri
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