Weg-Wort vom 12. Februar 2008
In einem endlosen Vertrauen ausruhen
Manchmal beneide ich Menschen, die an Gott glauben, gestand die Frau, die
sich als Atheistin bezeichnete.
Dann fügte sie bei: Wissen Sie, manchmal wäre es für mich ungemein
erleichternd, die bedrängenden Fragen nach dem Sinn meines Lebens wenigstens
zeitweise loslassen zu können oder sie von jemandem beantwortet zu erhalten.
Angesichts der Ungerechtigkeit und des Elends auf dieser Welt wäre es für
mich unendlich befreiend, glauben zu können, dass da jemand mit Waagschalen
des Ausgleichs misst, die mir nicht bekannt sind. Denn meine Messlatte von
Recht und Gerechtigkeit jedenfalls kommt da nicht mehr mit. Wenn ich dies
mit meinen Massstäben zu Ende denken würde, geriete ich unweigerlich in
Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung.
Das unerbittliche Fragen dieser Frau hat mich sehr beeindruckt. Aus der
gängigen Frage warum wir glauben ergab sich für mich die unerwartete
Anfrage: Was würde ich denn vermissen ohne meinen Glauben an Gott? Und die
Anfrage an Sie gerichtet: Was würde Ihnen fehlen, wenn Sie Ihren Glauben
nicht hätten?
Wenn wir sogenannten Atheisten zuhören, dann können wir oft mehr und
Bedeu-tenderes über unseren Gottesglauben erfahren als wenn wir mit
Glaubenden über Gott reden. Lehrreich und erhellend ist für mich, wie
Friedrich Nietzsche die Konsequenzen seiner Entscheidung gegen den Glauben
an Gott formuliert:
Du wirst also niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr in
einem endlosen Vertrauen ausruhen ...
Du versagst es dir, vor einer letzten Weisheit, einer letzten Güte, letzten
Nacht stehenzubleiben, um deine Gedanken abzuschieben.
Du hast keinen ... Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten.
Du lebst ohne Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte und Glut
in seinem Herzen trägt.
Es gibt für dich keinen Vergelter, keinen Verbesserer letzter Hand mehr.
Es gibt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was
dir geschehen wird.
Deinem Herzen steht keine letzte Ruhestatt mehr offen, wo es nur zu finden
und nicht mehr zu suchen hat.
Mit freundlichen Grüssen
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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