Weg-Wort vom 1. Februar 2010
Solidarität
Wir schwitzten, lachten und fluchten gemeinsam, vor allem wenn sich wieder
ein grosser Stein kaum aus dem Boden pellen liess. Wir waren daran, zwanzig
Löcher auszugraben, um Apfelbäume seltener Sorten zu pflanzen und das
Überleben ihrer Art zu sichern. Wir das waren eine Gruppe von
Strafgefangenen, zwei Aufseher und ich, der Gefängnisseelsorger. Die
Naturschutzeinsätze waren Teil eines Gruppenprojektes zur Förderung der
Lebens- und Sozialkompetenz für nicht fluchtgefährliche Insassen, vorwiegend
ehemalige Drogenabhängige.
Für die Gefangenen war es Ehrensache, diese Einsätze nicht zur Flucht zu
missbrauchen, auch wenn die Gelegenheit dazu günstig war. Sie wollten sich
damit nicht einfach nur einen Vorteil nicht verscherzen. Es stärkte sie
vielmehr in ihrem Selbstwert, das ihnen entgegengebrachte Vertrauen und
gemeinsame Tun mit ihrem eigenen, gleichwertigen Vertrauen und Handeln
erwidern zu können.
Diese Erfahrung zeigte mir, dass eigentliche Solidarität über das blosse
Geben und Nehmen, das Abwägen der gegenseitigen Vor- und Nachteile
hinausgeht und eine einander würdigende Anerkennung und gegenseitigen
Respekt mit einschliesst.
Solidarität ist mehr als den Schwachen helfen, ihnen Almosen geben. Sie ist
eine Lebenshaltung auf der Basis der Gleichwertigkeit und der Partnerschaft.
Sie stellt uns alle auf die gleiche Stufe. Es gibt nicht nur Geber und
Empfänger, sondern Teilhaber. Solidarität schliesst auch ein, die Macht mit
dem Partner zu teilen.
Solidarisch sein heisst darum: Das Leben als ein Miteinander verstehen,
kooperieren, Kompromisse schliessen und immer wieder neu gemeinsam
aushandeln, wie Eigeninteresse und Gemeinwohl in sachdienlicher und
gerechter Weise konkret verwirklicht werden können. Solidarität heisst:
Wirtschaft und Gewinn sind nicht Selbstzweck, sondern dienen allein dem
guten und fairen Zusammenleben aller.
Für den christlichen Glauben ist Gott Mensch geworden nicht nur um uns zu
helfen, sondern um mit uns das Leben zu teilen, mit uns zu lachen und zu
weinen, zu schwitzen und auszuruhen.
Für Paulus (1 Kor 12) sind wir gemeinsam ein Ganzes so wie der Körper des
Menschen einer ist und doch aus vielen Teilen besteht. Gott wollte, dass
jeder Teil sich um den anderen kümmert. Wenn irgendein Teil leidet, leiden
alle anderen mit. Und wenn irgendein Teil geehrt wird, freuen sich alle
anderen mit.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
© Bahnhofkirche. Hauptbahnhof Zürich
www.bahnhofkirche.ch
info(a)bahnhofkirche.ch