Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 12. September 2016
Über Wasser gehen
Können Sie das auch? Mir ist es zweimal gelungen: Im Winter 1963, als der
Zürichsee zugefroren war und in einem der letzten Jahre auf dem ebenfalls
zugefrorenen Pfäffikersee. Aber sonst, nein sonst nie. Und doch werde ich
das Gefühl nicht los, dass viele Menschen meinen, sie könnten auch im
normalen Alltag über Wasser gehen, sei es in der Wirtschaft, in der Politik,
in der Gesellschaft.
Das heisst einfach: Wir überschätzen uns, oder wir setzen uns Ziele, die
unsern Blick eng machen. Wir sehen nur noch das, was uns nützt, was uns
hilft, was uns weiterbringt. Das Wörtchen "Uns" kann dann durchaus als
pluralis majaestatis verstanden werden und heisst dann einfach: Ich, ich und
nochmals ich und nur für mich! So kann es der rempelnde Einsteiger am frühen
Morgen im Zug sein, der CEO einer Firma oder der Chef einer Regierung. Es
kann aber auch stehen für eine Gruppe, einen Konzern, eine Partei, einen
Staat. Niemand kann bei normalen Temperaturen über Wasser gehen. Und doch
versuchen es viele immer wieder. Über kurz oder lang: Sie gehen unter und
reissen je nach Grösse viele mit sich. Sie reissen alle mit sich, die ihnen
vertraut haben und noch viel mehr. Solche "Wir" sind keine Alternative weder
für die Schweiz noch für ein anderes Land. Der Focus ist und bleibt eng und
auf mich, auf uns, die eigene Firma, die eigene Partei gerichtet. Ich will
ja übers Wasser gehen, das Unmögliche schaffen - und wenn dazu jedes Mittel
recht wird, ja dann ist der Abgrund nicht weit. Es ist dann nur noch eine
Frage der Zeit.
Will ich Wasser überqueren und das nicht nur wenn die moralische Eiszeit
ausgebrochen ist, dann brauche ich Gemeinschaft, dann brauchen wir das
Zusammenwirken verschiedenster Menschen: Ein Netz, ein feinmaschiges noch
dazu. Dann kann ich es wagen, aber vielleicht ist mir dann eine Bootsfahrt
lieber mit einem Boot, das mit Sorgfalt gebaut wurde, mit Blick auf die
späteren Nutzer und nicht mit Blick ausschliesslich auf den eigenen Gewinn.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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