Weg-Wort vom 24. März 2006
Umkehr
Vor einiger Zeit habe ich Kindern in einem Labyrinth zugesehen. Engagiert
und voller Spannung suchten sie den schnellsten Weg in die Mitte. Bei
Wendepunkten hielten sie kurz inne, um ihrer Enttäuschung Luft zu machen
um dann umso intensiver vorwärts zu stürmen. Vermeintliche Rückschritte
liessen einige verärgert ausrufen. In der Mitte angekommen, war die Lust am
Spiel schnell verflogen. Keines der Kinder ging den Weg zurück. Sie sprangen
quer über das Labyrinth einem neuen Abenteuer zu.
Als ich selber das Labyrinth abschritt, spürte ich meine Neugier und
Verwunderung über den verwinkelten Weg. Mein Sinnen und Trachten aber war
ganz auf die Mitte, auf das Ziel ausgerichtet. Dort angekommen verflog diese
neugierige Anspannung. Das Ziel war erreicht. Der Weg führte nicht weiter.
Nur zurück. Am liebsten wäre ich quer ausgestiegen, wie die Kinder. Aber
irgendwie lockte der Weg zurück.
Ich kehrte um und schritt langsam und bewusst den Weg zurück. Gelöst und
ohne jeden Drang nach vorn nahm ich auf einmal jede Kleinigkeit wahr, die
ich auf dem Hinweg nicht beachtete. Jede Biegung und Wende vollzog ich mit
all meinen Sinnen. Ich war ganz da auf diesem Weg zurück mit grosser
Aufmerksamkeit und liebevoller Achtsamkeit . Ich spürte eine wachsende Ruhe
und Befriedigung in mir, eine tiefe Freude und Verbundenheit mit diesem Weg,
mit mir selber und der Welt.
Es war nicht das Erreichen der Mitte, des Zieles, was mich eigentlich
erfüllte. Erst in der Umkehr, im Weg zurück, konnte ich meinen
verschlungenen Weg zum Ziel wirklich wahrnehmen und mir zu eigen machen.
Erst in der Umkehr, in der Gelassenheit und liebevollen Achtsamkeit,
entdeckte ich das Geheimnis des Labyrinths, den wahren Reichtum meines
Lebensweges.
Johannes der Täufer verkündete in der Wüste:
Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe. (Mt 3,1-2)
Vielleicht entdecken wir den wahren Reichtum unseres täglichen Lebens erst
in der Umkehr: Wenn wir meditierend den Weg zurück in die Tiefe gehen, den
Weg der Liebe. Wenn wir das, was wir tun und wer wir sind, immer wieder neu
bewusst und in liebevoller Achtsamkeit wahrnehmen und annehmen. Und wenn wir
uns innerlich öffnen für die Nähe des Göttlichen in unserer Welt.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche