Weg-Wort vom 15. März 2007
Zum fünften Gebot: Lebensqualität durch ein richtiges Verhältnis zwischen
den Generationen
Die zehn Gebote begründen und begleiten die Freiheit des Menschen vor Gott
und den Mitmenschen. Steht dieser Behauptung nicht gerade das fünfte Gebot
entgegen, wenn es fordert: Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du
lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt (Ex 20,12).
Rechtfertigt dieses Gebot nicht patriarchale Verhältnisse? Muss dieses Gebot
nicht als archaisch und überlebt fallen gelassen werden?
Die Bedeutung des fünften Gebots erschliesst sich bereits vom Wort ehren
her. Es heisst hier nicht: Gehorche deinen Eltern, sondern ehre sie.
Jemanden ehren heisst im Hebräischen, ihm sein Gewicht lassen, ihn
ernstnehmen, ihn nicht leichtfertig unterschätzen. Die Versuchung der
jüngeren Generation besteht seit je her darin, dass sie in einem bestimmten
Stadium ihrer Welt- und Selbsterfahrung die Eltern, die Älteren, das Frühere
überhaupt, unterschätzt. Bisweilen wird sogar der totale Bruch mit dem
Vergangenen gesucht.
Dieser Haltung stellt sich das fünfte Gebot entgegen. Es verherrlicht die
überlieferten Autoritäten nicht, aber es fordert, dass die Eltern, dass die
Vorangegangenen nicht grundsätzlich zu unterschätzen sind. Die Stimmen der
Väter und Mütter, das geschichtliche Erbe sind ernst zu nehmen, gerade auch
dort, wo man eigene Wege einschlägt.
Das fünfte Gebot vertritt die Auffassung, dass der Weg zur Freiheit von
Anfang an unnötigerweise belastet ist, wo er über die Köpfe der
Vorangegangenen hinweg beschritten wird. Menschliche Freiheit wächst nur in
einem dialogisch-kritischen Verhältnis zu Müttern und Vätern, auch im
Glauben.
Das fünfte Gebot ist das erste Gebot, das auf eine Verheissung hin
orientiert ist: Ehre Vater und Mutter, auf dass du lange lebst in dem Land,
das der Herr, dein Gott, dir gibt. Mit dem verheissenen Land ist zunächst
ganz konkret das sogenannte Gelobte Land gemeint, also ganz reale irdische
Lebensbedingungen. Es geht aber auch um die Verheissung von Lebensqualität,
um Erneuerung und Vertiefung der Lebensmöglichkeiten. Das Wohlergehen ist
gebunden an das richtige Verhältnis zwischen den Generationen, ja zwischen
den Menschen überhaupt.
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