Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 11. November 2020
Lieber Martin
Heute ist Martinstag. Der Heilige Martin lebte im 4. Jahrhundert und war Bischof in Tours. Der Legende nach soll er sich in einem Gänsestall versteckt haben, nachdem ihn die Einwohner der Stadt zum Bischof bestimmt hatten, weil er sich als des Amtes unwürdig
empfand. Das Geschnatter der Tiere soll ihn dann aber verraten haben.
Lieber Martin
als Kind fand ich die Szene auf der 100-Frankennote immer so toll, wie du als Soldat den Mantel für den Bettler zerschneidest. Allerdings habe ich mich irgendwann gefragt, warum du dem nicht das ganze Stück gibst. Du hast ja noch eine super Soldatenrüstung,
das Schwert und ein richtiges Pferd, er hingegen nichts. Heute sehe ich das anders. Inzwischen habe ich nämlich auch gemerkt, dass es ehrlicher ist, mit Entschiedenheit überhaupt etwas zu geben, als arrogant gar nichts, oder ständig mit dem schlechten Gewissen
herumzulaufen, man sollte mehr tun. Mit dieser realistischen Haltung bist du mir ein richtiges Vorbild geworden. Echt.
Und wie du Bischof wurdest, das wäre vielleicht auch heute ein gutes Rezept, um Leitungspositionen zu besetzen: Fähige Leute auszuwählen, die selbst solch ein Amt gar nicht suchen, aber vom Volk gewählt werden. Wir haben momentan eben eher das Problem, dass
Leute nicht gewählt werden und dennoch das Gefühl haben, den Job könne sonst niemand machen. Mehr Respekt vor solchen Aufgaben - wie du – das täte uns gut. Als du dich dann doch getraut hast, sollst du nämlich extrem überzeugt haben.
Ist eigentlich dieses Verhalten gemeint, wenn es heisst, aus sich heraus könne man ja nichts tun, sondern nur durch die Gnade Gottes? Dann könnte man ja dank dir noch richtig fromm werden! Auf jeden Fall lässt sich also von dir so einiges lernen.
Mit herzlichen Grüssen
Ein reformierter Bruder
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Abb: Schweizer 100-Frankennote, St. Martin. Entwurf: Pierre Gauchat, 1957
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich