Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 7. Mai 2020
Vorsicht beim Urteilen
Die Lieder O Heiland, reiss die Himmel auf und Zu Betlehem geboren
werden wohl vielen Menschen bekannt sein, auch wenn sie kaum Gottesdienste
besuchen. Weniger Bekanntheit geniesst der Dichter, der hinter den Texten
steht, Friedrich Spee von Langenfeld. Er war ein deutscher Jesuit, der im
ersten Drittel des 17. Jahrhunderts als Seelsorger, Prediger und Dozent
wirkte.
Neben seinem dichterischen Schaffen hatte eines seiner Werke besondere
Wirkung und sollte den Lauf der Geschichte beeinflussen: die Cautio
Criminalis, was auf Deutsch so viel bedeutet wie Vorsicht beim Urteilen.
Darin prangerte er die damalige Praxis der Hexenprozesse an, in denen
Geständnisse mittels Folter erzwungen wurden. Spee schrieb, dass es
niemandem verweigert werden dürfe, sich so gut und vollständig wie möglich
zu verteidigen, und das der Richter selbst für Verteidiger zu sorgen habe.
Damit stellte sich der Jesuit gegen die herrschende Meinung. Er musste
aufpassen, nicht selbst als Freund der Hexen angeklagt zu werden und in die
grausame Verfolgungsmaschinerie zu geraten. Dem mutigen und hartnäckigen
Aussprechen seiner Überzeugungen ist es mit zu verdanken, dass in der
Rechtsprechung ein Umdenken einsetzte, das später zum Ende der
Hexenverfolgungen führte.
Den Hexenwahn haben wir zum Glück hinter uns gelassen. Die Vorsicht beim
Urteilen sollten wir allerdings weiter beherzigen, gerade wenn Fronten sich
verhärten. Befürworter wie Kritiker der Pandemie-Massnahmen verwenden
bisweilen einen sehr scharfen Ton. Sprechen wir, ohne einander zu
verteufeln, und hören wir zu, damit alle berechtigten Anliegen
berücksichtigt werden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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