Weg-Wort vom 28. Februar 2008
Nicht ausgeladen, sondern angenommen
Im christlichen Glaubensbekenntnis steht ein Satz, über den wir meist
hinwegbeten, der aber doch Verwunderung hervorrufen müsste: gelitten unter
Pontius Pilatus. Im Zentrum des Glaubensbekenntnisses steht der Name eines
Mannes mit recht unsauberen Händen. Die Weisheit christlicher Völker gibt
dieser Verwunderung mannigfaltig Ausdruck z. B. in Sprichwörtern. Im
Tschechischen wird von einer Person, die nicht in eine Situation
hineinpasst, gesagt: Er ist hier so fehl am Platz wie Pontius Pilatus.
Dass ein Mensch im Glaubensbekenntnis genannt wird, das leuchtet ein: es
bezieht sich ja auf eine Geschichte, die unter uns Menschen vor sich geht.
Und kaum jemand hat Mühe, wenn Maria im Glaubensbekenntnis erscheint, die
doch einen besonderen Platz in der Geschichte Gottes mit den Menschen
einnimmt. Aber Pontius Pilatus war eine ziemlich zwielichtige Person. Gegen
besseres Wissen beugte er das Recht und gab den Feinden Jesu nach einigem
Zögern nach. Er liess einen Mörder frei und verurteilte einen Unschuldigen
zum Kreuzestod.
Ausgerechnet ein solcher Typ gerät ins Glaubensbekenntnis. Das konnte nicht
zufällig geschehen, als die Alte Kirche die Glaubenssätze des christlichen
Bekenntnisses formulierte. Wir müssen die Botschaft, die dadurch vermittelt
werden will, ernst nehmen.
Mit dem Hinweis auf Pontius Pilatus wurde zugespitzt betont: Gottes
Geschichte mit den Menschen geschieht nicht ausserhalb der Weltgeschichte,
in einem abgesonderten, idealen Raum. Sie geht inmitten von gewöhnlichen,
alltäglichen Bedingungen und Verhältnissen vor sich. Und die biblische
Geschichte hat es nicht nur mit ausserordentlichen Menschen zu tun, sondern
auch mit zwielichtigen, sündigen. Gottes Lebensraum ist keine bürgerliche
gute Stube, wo nur die guten Menschenkinder Zulass finden und die andern
von vornherein ausgeladen sind.
Gott nimmt uns Menschen so wie wir sind. Auch in unserem Herzen stehen Heil
und Unheil dicht nebeneinander. Auch wir sind fähig, Unheil in die Welt, in
unsere Umgebung, in unsere Beziehungen zu bringen. Auch wir können nur
dankbar sein, wenn wir mit all unserem Unheiligen nicht ausgeladen, sondern
angenommen und geliebt werden.
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Hauptbahnhof Zürich
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