Weg-Wort vom 26. Februar 2008
Was uns fehlt, wenn wir alles haben!
Wir sind mitten in der vierzigtägigen Fastenzeit. Eine Zeit der Besinnung
auf das Wesentliche. Das Fasten soll uns dabei unterstützen, uns auf die
zentralen Fragen des Lebens zu konzentrieren.
Ein besinnlicher Fastengedanke zum Beispiel ist die Frage,
was uns fehlt, wenn wir alles haben:
Wenn Jugendliche, die alles haben, andere ungeplant und ungezielt spitalreif
schlagen und dann vor dem Richter sagen, sie hätten sich nichts dabei
gedacht ja noch schlimmer nichts dabei gefühlt, dann fehlt es nicht an
Vorschriften und Gesetzen. Fehlt es dann nicht vielmehr an internalisierten
Werten und einer empathischen Kultur des Lebens und des Zusammenlebens?
Eingebunden in die komplexen Zusammenhänge und Sachzwänge unserer Zeit
verliert der Mensch immer mehr seine Spiel- und Freiheitsräume. Der
nüchternen, versachlichten Welt fehlt jeglicher Zauber. Schaffen wir uns
deshalb künstliche Zauber- und Science-Fiktion-Welten?
In einer Welt der Zahlen und Daten und einer zunehmenden Präzision wird der
Mensch immer beschreibbarer. Ist es aber nicht gerade der Charme des
Unbeschreiblichen, der uns andere Menschen lieben lässt, und nicht die
vielen Daten, die wir von ihnen wissen?
Gerät der durchanalysierte, stets begreifbarere Mensch nicht zunehmend in
Gefahr, sein Geheimnis zu verlieren und damit seinen Bezug zu Gott, dem
Geheimnis schlechthin? Ist Gott für uns nicht auch deshalb Gott, weil wir
ihn nicht begreifen?
Laufen wir mit dem alles haben und immer noch mehr nicht Gefahr, uns in
der Zukunft einer sinnleeren Expansion zu verlieren? Oder könnte es sein,
dass der Verzicht auf den ausufernden und vergeudenden Wohlstand ein Gewinn
an persönlicher Lebensqualität wäre? Einer Lebensqualität, die mehr mit den
Werten, dem Zauber, dem Geheimnis und dem Unbeschreiblichen des Menschen und
der Welt zu tun hat!
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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