Weg-Wort vom 28. September 2009
Kraftorte
Wenn es mir seelisch nicht gut geht, spaziere ich gern zu meinem
Lieblingsort in der Nähe meiner Wohnung. Dort fühle ich mich wohl und
geborgen. Da kann ich Kraft und oft auch neuen Mut schöpfen. Überall, wo ich
bisher gewohnt habe, suchte ich mir einen solchen persönlichen Ort der Kraft
aus. Als spiritueller Mensch besuche ich zudem regelmässig meinen inneren
Kraftort.
Spirituelle Menschen leben und gestalten ihren Alltag aus einer tieferen
Dimension, aus dem Urgrund ihres Lebens heraus. Sie haben in sich einen
Raum, wo sie ganz sich selbst sind. Wo sie in Einklang sind mit sich, den
Menschen und dem Universum. Wo sie Gott nahe sind.
Wer sich täglich in diesen inneren Kraftort begibt, wächst nach dem
Theologen Pierre Stutz in die Kunst der Leichtigkeit des Seins hinein:
Spirituelle Menschen lassen sich von der Leichtigkeit, vom Beschwingtsein,
von der Hingabe berühren und dahin bewegen. Sie geben die Kontrolle auf, die
irrige Lebenseinstellung, alles im Griff haben zu müssen. Sie wagen sich
hinein in den Fluss der Liebe, damit sich die Leichtigkeit des Seins durch
die Gabe des Leer- und Erfülltwerdens entfalten kann.
Leichtigkeit ist jene existenzielle Grundhaltung, die dem Hier und Jetzt mit
all seinen Herausforderungen mit den Augen der Ewigkeit begegnet. Sie ist
ein Eintauchen in die tiefere und geheimnisvolle Dimension unseres Lebens,
um sich selbstvergessener engagieren zu können für eine zärtlichere
Gerechtigkeit. Die Gabe der Leichtigkeit lässt mich Wurzeln finden in Gott,
im Urgrund allen Lebens, damit ich in Beziehungsfähigkeit und Solidarität
über mich selbst hinauswachsen kann.
Die Kunst der Leichtigkeit ist nicht zu verwechseln mit dem
lebensfeindlichen Diktat des Coolseins, das uns die Einseitigkeit einer
Spassgesellschaft aufzwingen will. Tag für Tag der Leichtigkeit eine Chance
geben, das heisst Widerstand leisten für ein Leben in Fülle, in dem das
Lachen und Weinen, das Verletzt- und Aufgehobensein, die Konflikte und die
Versöhnung Entfaltungsräume erhalten. Ich fühle mich leicht und glücklich,
weil ich auch dem Dunkel in mir und auf dieser Welt nicht ausweiche, um so
ein ganzer, heiler Mensch sein zu können, mit seinem Licht und seinem
Schatten.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
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Hauptbahnhof Zürich
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