Weg-Wort vom 18. September 2008
Beten als Ausdruck von Hoffnung
Wir alle kennen die Frau, die immer im Bahnhof oben vor den Gleisen
anzutreffen ist. Sie betet für all die Vorbeigehenden und schickt den
Reisenden den Segen nach. Diese Frau erinnert mich an eine andere alte Frau,
die sich zwar nicht auf einem Bahnhof aufgehalten hat, sondern deren Leben
an den Tempel gebunden war. Ich denke an die Prophetin Hanna.
Die Züge dieser Frau bleiben undeutlich, aber dennoch klar genug, dass sie
es einem antut und sympathisch wird. In wenigen Strichen malt der Evangelist
Lukas ihr Porträt:
Damals lebte eine Prophetin Hanna. Sie war schon hochbetagt. Als junges
Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nun war
sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel
auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. (Lk 2,36-37).
Hannas Geschichte ist die Geschichte einer Wartenden und Hoffenden. Sie
drückt ihre Hoffnung im Beten aus. Selbstverständlich hat sie nicht jede
Minute gebetet. Aber sie hat immer wieder den Tempel aufgesucht. Mit dem
Tempel verbindet sie ihre Hoffnung auf den Erlöser. Von ihrem schweren Leben
her sie ist sehr früh Witwe geworden und gehörte dadurch in der damaligen
Gesellschaft zu den schwächsten Gliedern - hätte sie hundert Gründe gehabt,
keine Hoffnung mehr zu haben.
Sie hat sich aber nicht damit abgefunden, dass alles unveränderlich ist.
Über ihrer Hoffnung sind Jahre vergangen. Dennoch hat sie bedingungslos an
Gott und seiner Verheissung festgehalten. Sie hat nicht aufgehört zu hoffen
und zu warten. Manche werden sie für ein bisschen verrückt gehalten haben:
diese Alte mit ihrer Sehnsucht nach Heil und Erlösung.
Hanna ist ein Hoffnungszeichen für uns. Unsere Zeit braucht Menschen, die
die Sehnsucht nach einer heileren Welt in Erinnerung halten gegenüber allen
Unheilssituationen. Das Gebet ist ein vortreffliches Mittel, unsere
Sehnsucht nach dem Kommen Gottes und seines Heils in unserer Welt wach zu
halten. Beten ist ein Ausdruck von Hoffnung und Erwartung.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche