Das Weg-Wort – Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich
Weg-Wort vom 26. Mai 2021
Himmelsfenster
Das letzte Wochenende verbrachte ich in Basel. Am Pfingstsonntag zeigte sich strahlendes Wetter, so ich ging in der Altstadt spazieren. Im Vorhof zum Museum der Kulturen, das gerade eine empfehlenswerte Ausstellung über Buddhismus zeigt, entdeckte ich
an einer schattigen Wand ein Fenster, in dem sich der Himmel so klar und leuchtend spiegelte, dass es mir vorkam, als wäre es ein direkter Durchgang zum himmlischen Blau.
Dieses Fenster erscheint mir als Symbol für Momente, Ereignisse und Menschen, die ein Stückchen vom Himmelreich Gottes auf die Erde bringen. Das passiert etwa dann, wenn Liebe über die Angst siegt, wenn die kalte Logik von Macht, Profit und Hass abgelöst
wird durch die Wärme offener Herzen, durch Versöhnung und Fürsorge für alle Menschen und die gesamte Schöpfung. In solchen Momenten, Ereignissen und Menschen sehe ich Fenster zum Himmel.
Es können grosse Ereignisse sein. Mir kommt das Wirken der Wahrheits- und Versöhnungskommission in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre in Südafrika in den Sinn. Sie hat dazu beigetragen, dass aus dem Unrecht der Apartheid ein Stück Miteinander hervorgehen
konnte. Es können spontane Aktionen sein wie die Konzerte vor Altersheimen und Krankenhäusern während der Zeit des Lockdowns. Es kann jede kleine Geste sein, die das Herz berührt.
Himmelsfenster sind immer da. Es kommt allerdings darauf an, ob wir aufmerksam genug sind, sie zu entdecken. Noch besser ist es anzufangen, selbst ein solches zu sein. Menschen, die Himmelsfenster sind, werden auch Heilige genannt. In der Bahnhofkapelle
steht zurzeit ein Kunstwerk. Es hat Ähnlichkeit mit dem schmalen Fenster, das ich am Sonntag entdeckt habe.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
BILDLEGENDE
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
Jürgen Rotner
Seelsorger in der
Bahnhofkirche Zürich